Ein paar Fakten vorweg:
- Ca. 40 % aller Kinder haben belastende Kindheitserfahren (ACEs), die mit PTBS und KPTBS korrelieren, siehe Wikipedia-Artikel über ACEs
- Ab nächstem Jahr gibt es eine diagnostische Unterscheidung von PTBS und KPTBS im kommenden ICD-11, siehe Veröffentlichung darüber im Veröffentlichung darüber im British Journal-of-Psychiatry:
also eine Unterscheidung von Traumatisierungen,- die auf eine starke Einwirkung durch negative Ereignisse zurückzuführen sind einerseits (PTBS)
- und andererseits durch die für sehr viele Menschen relevante „komplexere Traumafolgestörung“ (KPTBS), die sich durch eine eher diffuse Störung der Selbstregulation, des Selbstbilds und der Beziehungsfähigkeit auszeichnet.
Damit bekommt das Thema erstmals eine ordentliche rechtliche Anerkennung, da bisher sehr umständliche Diagnosen gestellt werden mussten.
- Zur rechtlichen Abgrenzung von Psychotherapie und psychologischer Beratung und damit dem rechtlichen Rahmen für den Umgang mit psychischen Problemen im Jugendalter:
Wikipedia-Artikel über Psychologische Beratung
Die Behandlung von und explizite Arbeit mit diesen psychischen Problemmustern ist rechtlich beschränkt durch das Psychotherapeutengesetzt.
Zwei Bottlenecks in der Behandlung von Traumatisierungen
Da die KPTBS ja erst ab nächstem Jahr mit dem ICD-11 Anerkennung als Krankheit erhält, wurde bisher auch nur ein sehr geringer Teil der Psychotherapeuten speziell für den Umgang mit KPTBS, Bindungs- und Entwicklungstraumata ausgebildet, da die typischen VT-Ausbildungen sich ja nach dem ICD-10 richteten.
Es gibt daher zwei Bottlenecks:
- Die Wahrnehmung und Akzeptanz: das ist ein relevantes Problem, welches eigentlich gelöst werden kann.
- Die kompetente und lösungsorientierte Behandlung durch Personen, die Methoden der Traumatherapie anwenden können, zum Beispiel Somatic Experiencing, EMDR oder NARM, ggf. zusammen mit einer unterstützten Verhaltensänderung.
Hieraus ergeben sich zwei Dilemmata und Widersprüche.
Zwei Dilemmata der Traumapädagogik
- Für unsere Arbeit als Pädagogen: Wir dürfen nicht damit arbeiten, obwohl mir damit arbeiten, da wir ja täglich mit den Kindern und Jugendlichen konfrontiert sind und für ihre gute positive Entwicklung mitverantwortlich sind.
Wir dürfen nicht damit arbeiten, denn wir haben im Allgemeinen keine psychotherapeutische Zulassung, weswegen wir nicht mit diesen Themen und Störungen arbeiten dürfen. Gleichzeitig arbeiten wir alle mit Menschen, die auch ein KPTBS haben, deren KPTBS sich auf unsere Arbeit auswirkt und deren psychologisches Erleben durch unsere Arbeit beeinflusst wird. - Gesellschaftlich sowie in der Arbeit mit Eltern und anderen Pädagogen: Die Aufdeckung von Traumatisierung erregt Abwehr. Denn der relativ hohe Anteil von komplex-traumatisierten Menschen in unserer Gesellschaft gilt bisher als normal, wurde nicht als psychische Krankheit anerkannt durch die Krankenkassen und nicht durch die Psychotherapie-Schulen explizit ausgebildet. Die Verdrängung von KPTBS ist normal und eine Aufdeckung erregt ggf. Abwehr und Widerstände. Denn mit der Auflösung müsste sich eventuell auch das Verhalten aller Beteiligten ändern bzw. deren eventuelle Mitverursachung würde aufgedeckt. Daher kann es passieren, dass andere Eltern und Pädagogen kein Interesse an einer Behandlung / Aufklärung haben, da es deren Anteile und Mitwirkung konfrontieren könnte. Auch schon das „Darüber reden“ stellt die bisherigen Gewohnheiten in Frage, nämlich das eigene Erleben und Mitwirken auszublenden, zu verdrängen, zu verleugnen und aufrechtzuerhalten.
Resumé: Möglichkeiten und Grenzen der Traumapädagogik
Also: Wir dürfen nicht damit arbeiten, aber müssen im Rahmen unserer Arbeit uns damit auseinandersetzen, um unseren Job ernst zu nehmen und den betroffenen Personen bei ihren Lebens- und Entwicklungsaufaben zu helfen.
Und: Wenn ein KPTBS oder PTBS vorhanden ist, leben die Betroffenen sowieso damit und werden regelmäßig ge-retriggert, mit oder ohne unserer Wahrnehmung und Berücksichtigung. Tendenziell muss man damit leben und es hinnehmen bzw. ausblenden.
Also ignoriert und verschleppt wurde das Leiden schon.
Möglichkeiten der Traumapädagogik
Die für uns mögliche Auflösung, die ich sehe, ist:
- Aufklärung gegenüber den Personen bzw. Ihren Eltern und sie ggf. verweisen an ärztliche / psychotherapeutische Betreuung, mit dem Hinweis, dass auf die Spezialisierung der Traumatherapie geachtet werden sollte. Dazu gibt es auch die Kinder- und Jugendhilfe. Die „Nummer gegen Kummer“ kann den Kindern stets mitgegeben werden.
- Workarounds durch Präventions- und Bildungsseminare, in denen die Ressourcen der Betroffenen gestärkt werden und „heilsame Erlebnisse“ ermöglicht werden.
Heilsame Erlebnisse durch Pädagogik, Schule, Seminare und Workshops
- positive Beziehungserfahrungen
- Erfahrung von Selbstwirksamkeit
- Erfahrung von Flow
- Erfahrung von positiver Autonomie und Selbstbestimmung
Unser Workshop fällt in die Kategorie b).
Wir vermitteln Fähigkeiten, Ressourcen und positive Erlebnisse, die den Jugendlichen helfen, ihre Lern- und Lebensaufgaben zu bewältigen.
Im besten Fall ergibt sich also eine positive Auswirkung auf evtl. vorhandene KPTBS und PTBS, ohne dass wir explizit darauf Einfluss nehmen, da wir es per Definition nicht dürfen.
Das wurde nun etwas länger,
Ich hoffe, ihr könnt etwas Verständnis für das Thema aufbringen,
Ich musste mich auch eben noch einmal mit 1-2 Experten austauschen, um es nüchtern betrachten zu können. Ganz bequem ist das Thema natürlich nicht.
Danke, dass ihr mit diesem Workshop und unserer Reflexion heute mit eurer Arbeit Offenheit dafür zeigt und eure Arbeit für das Wohl der Jugendlichen nutzt.
Da ich schon öfter auf das Thema gestoßen bin und es sehr wichtig finde, habe ich kürzlich ein Weiterbildungs-Angebot rund um Trauma-Integration und Trauma-Pädagogik entwickelt: