Diese Methode soll dir zu mehr Klarheit helfen in einer aktuellen Spannungssituation. Sie führt durch mehrere innere Ebenen. Am Ende stehen konkrete nächste Schritte.
Diese Übung wird immer mal wieder mit einem Coach geübt, bis der Klient weitestgehend selbstständig seine Gedanken, Gefühle, Körpersignale und Wünsche auf den Punkt bringen kann.

Schritt-für-Schritt Anleitung
- Aktueller Anlass: Beschreibe konkret, worum es geht und was passiert ist. Nenne die beteiligten Personen und Beziehungen, ohne zu interpretieren oder zu bewerten. Halte dich an beobachtbare Ereignisse, Zeitpunkte und Aussagen.
- Gedanken, Glaubenssätze, Sorgen: Was denkst du über die Situation? Welche inneren Sätze tauchen auf? Benenne deine Sorgen und formuliere auch den schlimmsten Fall, den dein Kopf gerade durchspielt. Hier darfst du auch wild spekulieren und interpretieren. Behandle diese Sätze als Hypothesen, nicht als Tatsachen.
- Vorerfahrung: Kommt dir diese Erfahrung bekannt vor? Woran erinnert sie dich? Suche nach früheren Situationen mit ähnlichen Gefühlen oder ähnlicher Dynamik. Halte fest, welche typische Reaktion du in solchen Momenten zeigst. Woher oder von wem hast du deine Art und Weise zu reagieren?
- Gefühle & Körpersignale: Benenne deine Gefühle so konkret wie möglich, ohne sie zu erklären oder zu rechtfertigen. Beschreibe, welche Empfindungen im Körper auftauchen und wo du sie wahrnimmst. Welche körperlichen Phänomene gibt es sonst noch dazu (Einschränkungen, Spannungen). Wenn dein Körper sich ganz frei bewegen könnte, was würde dein Körper jetzt gerne tun?
- Bedürfnisse, Werte, Wünsche: Bennene, worum es dir unter der Oberfläche wirklich geht. Was brauchst du, und welche Werte sind hier wichtig? Was sind deine höchste Werte und Prinzipien? Wenn du aus der Zukunft zurück schaust, was wird dir am Ende wichtig gewesen sein? Worauf wärst du stolz? Und was würdest du tun, wenn du frei entscheiden könntest?
- Kleine Schritte: Finde möglichst einfache Schritte, die dich ein kleines bisschen weiterbringen. Formuliere eine Handlung, die in den nächsten 24 bis 72 Stunden realistisch ist. Mache den Schritt so klein, dass er auch bei Widerstand oder Müdigkeit noch machbar ist.
- Abschluss: Lies dir alles einmal durch und fasse es in zwei bis vier Sätzen zusammen, die Anlass, Gefühl und Bedürfnis verbinden. Wenn etwas noch nicht klar ist, schärfe nach. Benenne einen eindeutigen nächsten Schritt.
Beispielfall für die Selbstklärung
Martin erlebt in seinem Arbeitskontext einen Konflikt über Präsenzzeiten und den Arbeitsort. Er hat eine lange Anreise zur Arbeit und unterstützt zuhause seine altersschwachen Eltern, daher ärgert er sich, wenn ihm wöchentliche Präsenztermine angeordnet werden, die er nicht als nötig erachtet. Gleichzeitig nimmt er das Arbeitstempo als zu langsam und seinen Gestaltungsspielraum als gering wahr. Auf kritisches Feedback reagiert seine Führungskraft aus seiner Sicht abwertend und autoritär, statt die Kritik sachlich zu prüfen. Gleichzeitig nimmt sich die Führungskraft selbst mehr Freiheiten heraus und gewährt diese ihren Mitarbeitern je nach Anlass. In Gesprächen fallen Sätze, die den Konflikt kleinreden und seine Lage auf „erledige einfach deinen Job und mach, was ich sage“ reduzieren.
Gedanken: Martin hat den Eindruck, dass er einen Bullshit-Job hat und in Richtung Bore-out kippt. „Ich hasse meinen Chef, ich will ihn loswerden“, denkt er. Er denkt, dass er an der Situation nichts mehr ändern kann. Aber er hat gleichzeitig Angst, die Job und damit die finanzielle Sicherheit und Stabilität zu verlieren. Gleichzeitig schätzt er, dass er in dem sonst schönen Umfeld arbeiten kann, aber eben am liebsten in seinem Tempo. Wenn er aufgrund der Belastung dadurch öfter krankgemeldet war, hat er Angst, als Simulant zu gelten. Er fragt sich, ob die Situation schon als Mobbing gilt.
Vorerfahrung: Martin kennt das Grundgefühl aus früheren Kontexten, in denen er als „schwierig“ oder „unzuverlässig“ eingeordnet wurde, obwohl er inhaltlich sauber gearbeitet hat. Er kennt Dynamiken von seinen Eltern, in denen ein Umgang erst locker wirkt und dann abrupt autoritär wird. Solche Muster aktivieren bei ihm schnell ein inneres Spannungsfeld zwischen Gehorsam und Widerstand. Er erlebt außerdem, dass sein Autonomiebedürfnis in solchen Situationen mit dem Wunsch nach Verlässlichkeit kollidiert.
Gefühle & Körpersignale: Martin spürt Druck, Wut und Hilflosigkeit, zeitweise auch Verzweiflung. Er sehnt sich nach Ruhe und bemerkt Stress und Angst. Körperlich nimmt er Kribbeln in der Brust, Druck im Gesicht und im Kiefer sowie Verspannungen in Nacken und Rücken wahr. Insgesamt fühlt er sich eingeengt und wünscht sich mehr Zeit und Raum für entspannte Bewegung.
Bedürfnisse, Werte, Wünsche: Martin braucht zeitliche Flexibilität und Selbstbestimmung, um leistungsfähig zu bleiben. Er braucht einen klaren Rahmen und einen echten Gestaltungsrahmen, statt bloßer Pflichterfüllung. Martin will echte Wirkung erzielen und nicht nur stumpfsinnige Aufgaben abarbeiten. Er braucht Planungssicherheit und Planungsautonomie, damit Arbeit und Privatleben kompatibel bleiben.
Kleine Schritte: Martin schlägt einen zweiwöchentlichen Rhythmus für Präsenz und Remote vor, der mit privaten Verpflichtungen vereinbar ist. Er bringt Mediation oder eine moderierte Klärung ins Spiel, um aus der Autoritätsdynamik herauszukommen, um eine saubere Klärung des Gestaltungsrahmens und der Erwartungen zu bekommen. Dafür bezieht Martin interne Stellen zu Personalvertretung, BEM oder Diversity ein, um das Thema sachlich abzusichern. Den Chef und die internen Anlaufstellen bittet er um Unterstützung bei der Suche nach einer temporären Unterkunft am Arbeitsort. Und letztlich will Martin noch pro-aktiv ein Strategiepapier skizzieren, wie seine Arbeit inhaltlich sinnvoller gestaltet werden kann.
Neurobiologische Korrelate während der Selbstklärung
Beim aktuellen Anlass, also Konflikt, Statusdruck und erlebter Autorität, steigt typischerweise die Aktivität in der Amygdala (Alarm/Bedrohungsbewertung), in der Insula (körpernahe Signalverarbeitung) und im dorsalen anterioren cingulären Cortex (dACC) (Konfliktmonitoring). Parallel werden über Hypothalamus/HPA-Achse Stresshormonsysteme hochgefahren, und der Sympathikus wird aktiviert.
Bei Gedanken, Glaubenssätzen und Sorgen, besonders beim Grübeln oder Katastrophisieren, nimmt oft die Aktivität des Default Mode Network (DMN) zu, vor allem im medialen PFC (mPFC) und im posterioren cingulären Cortex (PCC), weil Selbstnarrative und Zukunftsszenarien kreisen. Der Hippocampus beteiligt sich an Kontext- und Erinnerungseinbettung, während der dACC weiter Konflikte und Inkonsistenzen überwacht.
In der Vorerfahrung, also beim Abrufen von Triggern, Schemata und ähnlichen Erinnerungen, arbeiten Hippocampus (Episoden/Context) und mPFC (Bedeutungszuweisung, Selbstbezug, Schema) besonders stark zusammen. Je nach emotionaler Färbung kann die Amygdala dabei ebenfalls hochgehen, weil alte Muster mit aktueller Bedrohung verknüpft werden.
Bei Gefühlen und Körpersignalen steht die Insula im Vordergrund, die Interozeption und emotionale Körpermarker integriert. Zusätzlich steigt Aktivität in somatosensorischen Arealen, also im somatosensorischen Cortex, weil Spannung, Druck und Kribbeln als Körperzustände verarbeitet werden. In akuten Alarm- oder Erstarrungsreaktionen kann außerdem das periaquäduktale Grau (PAG) stärker beteiligt sein; begleitend bleibt der Sympathikus häufig erhöht.
Wenn Bedürfnisse, Werte und Wünsche geklärt werden, verschiebt sich die Verarbeitung stärker in Bewertungs- und Zielsysteme. Hier sind vmPFC/OFC (Wert- und Nutzenbewertung, Abwägung) und das ventrale Striatum (Motivation, Annäherungsimpulse) typischerweise stärker aktiv. Sobald auch soziale Perspektive, Fairness oder Beziehungsebene mitgedacht werden, ist häufig die TPJ (Perspektivübernahme/mentalisieren) stärker eingebunden.
Bei kleinen Schritten, also Planung, Initiierung und Umsetzung, steigt die Aktivität in exekutiven Kontroll- und Handlungsnetzwerken. Der dlPFC unterstützt Strukturierung, Priorisierung und Selbststeuerung; der ACC hilft beim Konfliktmonitoring und beim Dranbleiben trotz innerer Reibung. Für das Anstoßen und Automatisieren von Handlungssequenzen sind Basalganglien/Striatum wichtig, und für die motorische bzw. sequenzielle Umsetzung ist die SMA (Supplementär-motorisches Areal) typischerweise stärker beteiligt.
Insgesamt zielt die Selbstklärung darauf, von einer reaktiven Stresskonfiguration in Richtung Regulation zu kippen. Wenn präfrontale Kontrolle und Bewertungssysteme stärker greifen, steigt die Aktivität im PFC (insbesondere dlPFC/vmPFC), und die Alarmaktivität der Amygdala kann sinken. Der Vagus/Parasympathikus wird eher hochreguliert, das DMN nimmt im Idealfall ab, und das Salience Network (Insula/dACC) stabilisiert sich so, dass Relevanz erkannt wird, ohne in Überwältigung zu kippen.
Selbstklärung auf einen Blick
Ziel: innere Gedanken, Gefühle, Motive und Dilemmata sortieren
🌱 Wurzeln: Existenzanalyse, humanistische Therapie, KVT, Schreibtherapie
🧠 Neuro: PFC ↑, DMN ↑, Insula ↑, ACC ↑
🟢 Anspruch: mittel
⚠️ Risiko: Grübeln verstärken, Selbstkritik zementieren
💡 Indikation: Dilemmata, diffuse Unzufriedenheit, akute Spannung mit genug Kapazität für Selbstreflexion
🚫 Kontra: schwere Depression mit starker Selbstabwertung, instabile Trauma-Prozesse
🔗 Danach: Inneres Team, ABC, Visionsdreieck