Beitrag von Tim Böhme.
In diesen pandemischen Zeiten stellt sich die Frage, wie wir die Zeit nutzen können, um uns selbst und anderen Menschen zu helfen. Unabhängig von der Frage, wie gefährlich Corona ist, gibt es gerade zwei Pandemien und das ist neben Covid-19 die Pandemie der Angst und des Misstrauens. Wahrscheinlich sind die Kontaktsperren und Ausgangsbeschränkungen sinnvoll, aber daraus folgt nicht zwingend, dass wir uns der medial amplifizierten Ängstlichkeit einfach ergeben müssen. Stattdessen haben viele nun die Möglichkeit, sich auf sich selbst zu besinnen und neue Gewohnheiten und Denkweisen zu etablieren.
Ängste und Keime – Mitgefühl als Lösung?
Im folgenden möchte ich einen kleinen, aber sehr entscheidenden Aspekt beleuchten, der eine aussichtsreiche Option ist, beide Pandemien zu lindern. Dieser Aspekt heißt Mitgefühl. Durch Mitgefühl können wir sowohl die Psyche und die Gesellschaft als auch das Immunsystem stärken! Aber zunächst einmal: was bedeutet Mitgefühl überhaupt? Mitgefühl bedeutet den Wunsch, dass fühlende Lebewesen ohne Leid und glücklich sein mögen. Dieser Wunsch zieht dann entsprechende Kommunikations- und Verhaltensweisen mit sich. Außerdem kann man Mitgefühl so klar von der Empathie unterscheiden, die ein automatisches, unbewusstes Mitfühlen bedeutet, durch welches man sich „runterziehen lassen“ kann.
Während Empathie eher eine angeborene Eigenschaft des Menschens ist, ist Mitgefühl oder Altruismus eine aktive, bewusste Einstellung zu der man sich entscheiden kann. Darüber hinaus ist durch Forschung an buddhistischen Mönchen klargeworden, dass man Mitgefühl trainieren kann, was nachweislich vorteilhafte und langfristige Änderungen in der Struktur des Gehirns nach sich zieht. Diese Vorteile bestehen vor allem in einem ausgeglicheneren emotionalen Zustand, sowie in positiven Gefühlen und einer allgemein großen Lebenszufriedenheit. [2] Doch darüber hinaus beeinflusst Mitgefühl sogar das Immunsystem positiv!
Mitgefühl aus Sicht der Psychoneuroimmunologie
Es gibt einen relativ jungen Forschungsbereich, der sich mit der Schnittstelle von Geist – Immunsystem befasst: die sogenannte Psychoneuroimmunologie (kurz: PNI). Diese liefert spannende Perspektiven auf unsere mentalen Fähigkeiten:
„Eine weitere Harvard-Studie, die ebenfalls in dem Buch ‚Die heilende Kraft der Gefühle‘ erwähnt ist, beschäftigt sich mit der psychoneuroimmunologischen Wirkung der Güte. Der Forscher David McClelland zeigte einigen Personen einen sehr gefühlvollen Film über Mutter Teresa und ihre Sorge für andere Menschen. Andere mussten sich dagegen einen Film über die Nationalsozialisten in Deutschland ansehen, der sie ziemlich wütend machte. Bei den Zuschauern des Mutter-Teresa-Films zeigte sich eine kurzfristige Zunahme der T-Lymphozyten. Und wenn sie nach der Vorführung noch eine Stunde zusammenblieben und über Güte meditierten sowie an all die Menschen dachten, die ihnen in ihrem Leben Gutes getan hatten, dann hielten die erhöhten T-Lymphozyten-Pegel über längere Zeit an!“ [1]
T-Lymphozyten sind die weißen Blutzellen, die der Immunabwehr dienen und deswegen für unsere Gesundheit unentbehrlich sind. Sie werden von der Thymusdrüse produziert.
Über die Thymusdrüse
Mitgefühl oder christlich ausgedrückt: Nächstenliebe würden wir am ehesten mit dem Herz assoziieren. Interessanterweise befindet sich aus endokrinologischer Sicht die Thymusdrüse genau hinter dem Brustbein auf Höhe des Herzens. Die Thymusdrüse ist schon seit der Antike bekannt. Thymos kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet soviel wie „Lebenskraft“. Bis 1966 dachten viele (Schul-)Mediziner, dass die Thymusdrüse überhaupt keine Funktion habe, bis Jacques Miller ihre Bedeutung für das Immunsystem erkannte. Vor allem im vorpubertären Alter spielt die Thymusdrüse eine wichtige Rolle für den Aufbau des Immunsystems.
Weil sich die Thymusdrüse im Erwachsenenalter jedoch zurückbildet, ist man davon ausgegangen, dass sie dann aber ihre Funktion verliert, was nicht ganz zutreffend ist, wie man auch an der erwähnten Studie erkennen kann. Die Thymusdrüse spielt auch im Erwachsenenalter eine entscheidende Rolle. Doch Mitgefühl beeinflusst nicht nur die Thymusdrüse. Mitgefühl ist in der Lage, durch eine Vielzahl von Faktoren das Immunsystem und die Gesundheit zu kräftigen.
„Glaubt man der wissenschaftlichen Literatur, hat das Mitgefühl unter allen menschlichen Emotionen und Verhaltensweisen die größten hormonellen Einflüsse. Oder, um es genauer zu formulieren: Viele wissenschaftliche Studien finden überzeugende Beweise dafür, dass das Mitgefühl und seine konstituierenden Komponenten, wie etwa Empathie, sowohl endokrine Faktoren beeinflussen als auch umgekehrt selbst von diesen beeinflusst werden.“ [3] (Hervorhebung durch mich)
So wird zum Beispiel durch mitfühlendes Verhalten durch den Arzt im Umgang mit seinem Patienten der bedeutende Immunstoff Interleukin freigesetzt. Alleine durch eine empathische und freundliche Behandlung werden also Heilungschancen biologisch nachweisbar erhöht! Durch mitfühlendes Verhalten wird außerdem Oxytocin freigesetzt, welches mit Vertrauen und Großzügigkeit assoziiert wird. Stresshormone wie Cortisol hingegen werden reduziert.
Soziales Miteinander und positive Emotionen
Mitgefühl ist also in der Lage, gleichzeitig das Soziale zu verstärken und positive Emotionen freizusetzen: beides wiederum stärkt das Immunsystem. Deswegen kann Mitgefühl eine Kaskade von positiven Effekten auslösen.
„Durch mehrere Studien wurde nachgewiesen, dass die soziale Unterstützung durch Freunde und Familie korreliert mit einer hohen Anzahl von NK-Zellen sowie einem guten Gleichgewicht diverser am Immunsystem beteiligten Zellen. In psychisch belastenden Situationen wirken sich gute soziale Beziehungen stimulierend auf die erworbene Immunität aus.“ [3]
„Eine Metaanalyse von rund 300 Studien kam zu dem Schluss, dass positive Emotionen Vorteile wie Verbesserungen in Problemlösungskompetenzen, Selbstachtung, Geselligkeit und Beziehungszufriedenheit sowie im altruistischem Verhalten, der Funktion des Immunsystems und der körperlichen Gesundheit mit sich bringen.“ [3]
Wie kann ich Mitgefühl trainieren?
Es gibt sehr viele Wege, sein Mitgefühl zu trainieren. Hier sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt! Die Hauptsache besteht darin, sich selbst und anderen aktiv Gutes (Glück, Freude, Gesundheit, Freiheit, Leichtigkeit …) zu wünschen. Das ist jederzeit und an jedem Ort möglich. Wie jedes Training sollte auch dieses mentale Training regelmäßig ausgeführt werden, um die besten Wirkungen zu erzielen. Doch bereits nach einigen Wochen täglichen Übens, stellen sich nachhaltige Verbesserungen in der Lebensqualität ein! [1]
Die Metta-Meditation
Kurzfassung Metta-Meditation
Metta kommt aus dem Sanskrit und bedeutet soviel wie „Liebende Güte“. Wenn dich Mitgefühl und seine Vorteile für Psyche, Immunsystem und Gesellschaft interessieren, beginne doch einfach bei deiner Familie und deinen Lieben und ihren Haustieren. Für sie wird es nicht schwer sein, Mitgefühl zu empfinden. Rufe dir einfach ihr Bild vor Augen und wünschen ihnen von ganzem Herzen das Beste! Am Anfang ist es normal, dass sich das aktive Imaginieren „gewollt“ und „unnatürlich“ anfühlt, aber das geht schnell vorüber.
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Dann kannst du beginnen, den Kreis des Mitgefühls allmählich auszudehnen. Schenke zunächst dir selber großzügig Mitgefühl, denn auch du möchtest glücklich sein! Gehe dann über zu Menschen, denen du neutral gegenüber stehst, und dann zu denen, die du nicht magst. Schließlich können du versuchen dein Mitgefühl allen Menschen auf der Erde zu schenken. Halte im Gedächtnis, dass alle Menschen im Grunde genommen bestrebt sind, glücklich und frei von Leiden zu sein. Auch wenn sie zu diesem Zweck manchmal einen falschen Weg wählen.
Quellen
[1] „Gesunde Psyche, gesundes Immunsystem: Wie Psychoneuroimmunologie gegen Stress hilft“ von Lutz Bannasch und Beate Junginger
[2] „Glück“ von Matthieu Ricard
[3] „Mitgefühl. In Alltag und Forschung“ Tania Singer, Matthias Bolz (Hg.) Unter diesem Link als kostenloses Ebook verfügbar!
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Autor: Timotheus Böhme