Metamodernismus einfach erklärt

Seit ca. 200 Jahren leben wir in der modernen Ära. Diese Epoche beginnt mit der bürgerlichen Gesellschaft bzw. dem Ende der feudalen Gesellschaft und der aufkommenden Industrialisierung. Die Moderne hat Wissenschaftlichkeit, Aufklärung und technischen Fortschritt als zentrale Leitmotive gehabt und es war diese Epoche, die auch das Jetzt entscheidend prägt. Es war eine Geschichte des Erfolgs, der Emanzipation von den Zwängen der Natur, von der Durchsetzung liberaler Demokratien als Standard der politischen Selbstbestimmung und eine Geschichte, die von einem linearen Aufwärts geprägt zu sein schien.

Doch im 20. Jahrhundert wurden auch die Brüche und Risse deutlich, die dieses Narrativ vom gesellschaftlichen Fortschritt durchzogen. Da waren zum einen die beiden Weltkriege und der kalte Krieg, die zunehmenden ökologischen Belastungen der Natur, die sich zeigten, und aber auch soziale Probleme wie Rassismus, Sexismus und Ausgrenzung von anderen Minderheiten. Deswegen entstand seit den 70ern zunehmend eine neue Strömung in den Geisteswissenschaften, die sich mit der Konstruktion und Dekonstruktion dieser Erfolgsnarrative auseinandersetzte. Diese Strömung wurde als Postmoderne bekannt.

Die Postmoderne hegt einen starken Skeptizismus gegenüber diesen Erfolgsgeschichten. Sie hebt eher die Pluralität der Weltanschauungen und Lebensweisen hervor und pflegt eine ironische oder auch parodierende Distanz zur Moderne. Man könnte auch sagen, dass die Rationalität, welche die Moderne geprägt hat, sich in der Postmoderne gegen sich selbst wendet. Der Gehalt und Wert von Konzepten bzw. Theorien und Aussagen wird stark kontextualisiert. Postmoderne Theoretiker:innen versuchen, die Interessen und impliziten Zusammenhänge und Machtverhältnisse von Aussagen aufzudecken. Dazu passt auch, dass die Postmoderne keine einheitliche Strömung ist, sondern ein komplexes Geflecht von vielen Standpunkten und Philosophien.

Der Beginn einer neuen Ära: Die Metamoderne

Doch die Zeiten haben sich seit Beginn des 21. Jahrhunderts dramatisch gewandelt und die postmoderne Kritik hat sich in vielen Bereichen der Gesellschaft etabliert. Moderne und Postmoderne sind mittlerweile verwoben und etwas Neues ist entstanden – das metamoderne Lebensgefühl. Worin besteht dieses Lebensgefühl? Erstmals wurde der Metamodernismus prominent als Begriff geprägt von Timotheus Vermeulen und Robin van der Akker in ihrem Sammelband: „Metamodernism: Historicity, Affect, and Depth after Postmodernism“. Darin definieren sie Metamodernismus folgendermaßen:

Ontologically, metamodernism oscillates between the modern and the postmodern. It oscillates between a modern enthusiasm and a postmodern irony, between hope and melancholy, between naïveté and knowingness, empathy and apathy, unity and plurality, totality and fragmentation, purity and ambiguity. [zit. nach Rowson 2021]

Ontologisch betrachtet oszilliert der Metamodernismus zwischen der Moderne und der Postmoderne. Es schwankt zwischen modernem Enthusiasmus und postmoderner Ironie, zwischen Hoffnung und Melancholie, zwischen Naivität und Realismus, zwischen Empathie und Apathie, zwischen Einheit und Vielheit, zwischen Totalität und Fragmentierung, zwischen Eindeutigkeit und Ambiguität. [meine freie Übersetzung]

Metamodernismus ist eine Struktur des Fühlens, keine Theorie

Der Metamodernismus unterscheidet sich also vom Postmodernismus dadurch, dass er keine geisteswissenschaftliche Strömung ist, sondern die kulturelle Logik seit Anfang der 2000er beschreibt. Diese findet sich laut Autoren in Kunst, Literatur und Medien wieder, weil zeitgenössische Kreative die postmoderne ironische Distanz aufweichen und „präpostmoderne“ Ideen wieder salonfähig werden. Diese Struktur des Fühlens wird auch von Hanzi Freinacht aufgegriffen, einem weiteren Autor, der den Metamodernismus beschreibt. Er sagt in seinem Buch „The Listening Society“, dass Metamodernismus bedeutet, aufrichtig und ironisch zugleich zu sein.

Gleichzeitig entwickelt Freinacht den Metamodernismus entscheidend weiter, der bei ihm von einer Beschreibung der kulturellen und emotionalen Strukturen zu einer eigenständigen Epoche heranreift, indem er es mit der integralen Theorie verbindet. Das ist noch einmal ein eigenes Thema für sich, aber der entscheidende Punkt ist, dass Metamodernismus für Freinacht eine eigene Entwicklungsstufe der menschlichen Gesellschaft bedeutet, sowie eine eigene Entwicklungsstufe des individuellen, soziopsychologischen Denkens (hier kannst du mehr dazu lernen). Damit ist für Freinacht die Metamoderne jetzt am Anbrechen. Wir sehen gerade, wie eine neue Ära beginnt, welche die Kultur ergreift und neue Perspektiven und Möglichkeiten bietet.

Die Freiheit im Widersprüchlichen: auf dem Weg in eine metamoderne Zukunft

Die Metamoderne ist entscheidend durch die sozialen Medien geprägt worden. Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts dominierten die Massenmedien die gesellschaftliche Aufmerksamkeit. Eine postmoderne Kritik an diesen war (und ist) nötig, um eine subjektivistische Distanz zu den massenmedial inszenierten Narrativen zu gewinnen. Die Massenmedien wurden aber seit Beginn der Nullerjahre mehr und mehr von den aufsteigenden Internetkonzernen abgelöst: Google, Youtube, Facebook, Instagram, etc. Seitdem haben sich passive Empfänger in aktive Verbreiter von Content verwandelt. Dadurch ist die Wahrnehmung der Wirklichkeit, aufgrund der massiven Freisetzung von narrativen Partikeln, unübersichtlich komplex und trüb geworden.

Widersprüchliche und logisch unschlüssige Narrative gehören also zum medialen Alltag. Man kann sich weder blind auf seinen Verstand verlassen, denn er ist überfordert, noch blind auf seine Intuition, denn sie ist überfordert. Die Navigation in diesen Zeiten bedeutet daher zwischen und mitten durch paradoxe Spannungsfelder zu schippern. Eine Oszillation zwischen verschiedenen mentalen und emotionalen Zuständen ist die Folge davon. Hanzi Freinacht plädiert dafür, diesen Status Quo als Ausgangspunkt für eine bewusste Weiterentwicklung von Selbst und Kultur zu nutzen. Metamodernismus heißt für ihn daher, einen spielerischen Umgang mit dem Paradoxen und dem Oszillieren darin zu finden.

  • Metamodernismus bedeutet die Oszillation zwischen verschiedenen Zuständen
  • Metamodernismus beschreibt veränderte kulturelle Logik seit Anfang der 2000er
  • Metamodernismus beschreibt Strömungen in der Kunst, die die postmoderne Distanz zu Narrativen wieder aufweichen und unironisch präpostmoderne Ideen wieder aufgreifen
  • Metamodernismus beschreibt ein neues Entwicklungsstadium der Gesellschaft und der Individuen
  • Metamodernismus greift die Metaphysik wieder auf, es gibt Anbindungen zu spirituellen Vorstellungen
  • Metamodernismus ist eine Weiterentwicklung der integralen Theorie
  • Metamodernismus bedeutet aufrichtig und ironisch zugleich zu sein
  • Metamodernismus bedeutet die Einsicht und das Leben im Paradoxen, Widersprüchlichen und zersplitterten Leben
  • Metamodernismus bedeutet spielerisch zu sein
  • Metamodernismus ist anti-essenzialistisch: nichts ist absolut, nichts ist festgeschrieben

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