5 Schritte: Lernprozesse als Abenteuer gestalten

Gestalte einen erfolgreichen und schönen Lernprozess, indem du die Lernprozess-Frage sauber beantwortest:

WER lernt WARUM welche KOMPETENZEN zu welchem THEMA unter welchen RAHMENBEDINGUNGEN?

Daraus ergeben sich die zentralen Variablen für deinen Lernprozess:

  • WER: Zielgruppe bzw. Lerngruppe.
    Was macht die Personen aus? Welches Vorwissen bringen sie mit? Welche Blockaden? Welche persönlichen Interessen und Vorerfahrungen? Welche speziellen Bedürfnisse?
  • WARUM: Welche Sinn, welche Gründe und Bedürfnisse gibt es hinter dem Lernprozess? Welche Stakeholder (an der Schule haben oft weniger die Schüler ein Interesse als die Gesellschaft, Eltern, Lehrer und zukünftigen Arbeitgeber). Zur Orientierung helfen die 3 +1 Bedürfnisse aus der Selbstbestimmungstheorie:
    1. Autonomie
    2. Selbstwirksamkeit
    3. Verbundenheit
    4. Sinn
  • THEMA: Worum gehts? Das ist hoffentlich die leichteste Frage… geht es konkret um 7. Klasse Mathematik zu proportionalen Zuordnungen? Anatomie im 4. Semester? … Persönlichkeitsentwicklung? …Digitalisierung für Behördenmitarbeiter?
  • KOMPETENZEN: das ist ein relativ neues Wort in der Bildungswissenschaft, aber dürfte für noch lange Zeit der Dreh- und Angelpunkt bleiben (mehr dazu).
    Kompetenzen kann man formulieren durch spezifische „Ich kann XY“ – Aussagen.
  • RAHMENBEDINGUNGEN: alles, was entscheidend das Lernerlebnis prägt – Dauer, Ort, Rhytmus, rechtliche Vorgaben, vorhandene Medien, gesellschaftlicher Kontext, Traumatisierungen, vorgegebene Methoden, Auftraggeber-Briefings…

Analogie: Lernprozesse gestalten ist wie…

Anleitung: Lernprozess entwickeln Schritt für Schritt

  1. Beantworte die Lernprozess-Frage und definiere die dahinterliegenden Variablen ausführlich: WER lernt WARUM welche KOMPETENZEN zu welchem THEMA unter welchen RAHMENBEDINGUNGEN?
  2. Intuitiver Prototyp 0.7: Stell dir vor, du müsstest in 10 Minuten aus dem Stegreif den Lernprozess durchführen – wie würde er im Gröbsten aussehen? Erstelle die grobe Agenda.
    Wenn alles andere schiefläuft und alle weiteren kreativen Bemühungen ins Leere laufen, dann hast du immer noch diesen intuitiven Ablauf, welcher oft besser ist als überoptimierte Pläne.
  3. Ausführlicher Ablauf: hierfür benutze ich meist das Konzept von Experience-based Learning im Rahmen des Gamification-Ansatzes.
    Der Anfang des Lernprozesses wird optimiert für eine möglichst hohe Aufmerksamkeit und Aktivierung.
    Es geht darum,

    1. das THEMA und die KOMPETENZEN so lebendig erfahrbar wie möglich zu machen,
    2. Erfolgserlebnisse für die Lernenden zu ermöglichen – so zeitig und häufig wie möglich.
  4. Qualitätssicherung: überprüfe noch einmal, ob die notwendigen Qualitätskriterien nach der folgenden Checkliste gegeben sind:
    1. Es gibt einen Lernfortschritt, benennbar und überprüfbar, in dem THEMA und den wichtigsten KOMPETENZEN.
    2. Du selbst hast Freude an dem Lernprozess.
    3. Alle Teilnehmenden werden involviert und haben eine aktive Rolle,
      es gibt Binnendifferenzierung, d.h. verschieden starke Schüler können auf unterschiedlichen Niveaus einen Fortschritt erreichen.
    4. Das WARUM wird deutlich, der Sinn, und damit die Erfüllung der Bedürfnisse der Lernenden.
    5. Die Lebensrealität der Teilnehmenden und das Vorwissen wird berücksichtigt, so dass sie aller Wahrscheinlichkeit nach Interesse haben und die Aufgaben auch bewältigen können.
    6. Es gibt zeitig im Lernprozess erste Erfolgserlebnisse.
    7. Es gibt soziale Interaktion in verschiedenen Formaten.
    8. Es gibt individuelles Feedback auf den Lernfortschritt.
    9. Es gibt Phasenwechsel und Methodenwechsel, gerne häufig und regelmäßig.
    10. Der Lernprozess bleibt funktional: das Wesentliche bleibt das Wesentliche.
    11. Ablenkungen und Nebenkriegsschauplätze werden wegorganisiert.
  5. Optimierung durch Gamification.
    Dies wird zur Königsdisziplin: aber erst (!), wenn der Lernprozess funktional definiert ist. Niemand braucht Nebenkriegsschauplätze durch alberne Spielereien, Rätsel und Aufgaben, die am Ende zu Verwirrung und Überforderung führen.
    Wenn du dir sicher bist, dass dein Lernprozess auf jeden Fall funktioniert, dann kannst du ihn gamifizieren nach folgenden Prinzipien:

    1. Der inhaltliche Fortschritt wird sichtbar gemacht.
    2. Ritualisierung: Es gibt „Spiel“-Runden, also rhythmisch ablaufende Prozesse
      (zum Beispiel: Mathe-Aufgabe bearbeiten, miteinander besprechen, Lösung nachschauen, eigene Aufgabe korrigieren,
      und dann von vorne)
    3. Storytelling: schöne Anekdoten zu dem Thema, Heldenfiguren, mit Emotionen und inneren Konflikten
    4. Überraschungs-Elemente: durch Würfeln, Losen, Glücksräder, zufällige Zuordnung von Aufgaben etc. gibt es immer wieder neue Überraschungen

Ein ausführliches Modell für Gamification-Elemente bietet das Octalysis-Modell:

Gamifcation-Octalysis

…mehr zur Gamifizierung von Lernprozessen.

 

Beispiel 1: Mathe-Abitur

  1. Lernprozess-Frage: WER lernt WARUM zu welchem THEMA welche KOMPETENZEN unter welchen RAHMENBEDINGUNGEN?
    WER: Berliner 12. Klässler, 16-18 Jahre alt,
    WARUM: müssen Mathematik in der Oberstufe belegen, um ihr Abitur zu erreichen.
    THEMA: Analysis (Differential- und Integralrechnung), Analytische Geometrie (Vektor-Ebenen und Geraden), Stochastik (Binomialverteilung)
    KOMPETENZEN: gegeben durch den Rahmenlehrplan (z.B. Ableitungsregeln benutzen, Änderungsraten graphisch bestimmen, bedingte Wahrscheinlichkeiten mit Satz von Bayes bestimmen)
    RAHMENBEDINGUNGEN: Rahmenlehrplan, 2 Stunden pro Woche + Freiarbeitszeit, ca. 18 Monate bis zu Abiturprüfungen, sehr lückenhaftes Vorwissen, sehr heterogener Leistungsstand
  2. Intuitiver Ablauf:
    • Aufteilung in Triaden,
    • Arbeit in Aufgaben-Runden:
      Picke zum aktuellen Thema eine Aufgabe aus dem Buch und bearbeite sie erst alleine (5-10 min) und dann zu dritt (10-15 min), sucht euch ggf. Hilfe und überprüft mit Hilfe der Musterlösung eure Arbeit.
    • Parallel: Beförderung von talentierten Schülern in Lehrer- und Spielleiter-Rollen.
  3. Ausführlicher Ablauf
    …als „Lernspiel“ unter https://karlhosang.de/stochastik-freispielen/

 

Erfolgsfaktoren für Lernprozesse

Lernen gelingt mit

  • Begeisterung:
    der Lernprozess macht Spaß,
    der Sinn und die späteren Chancen durch Lernerfolg sind greifbar für die Lernenden und motivieren sie zu Höchstleistungen
  • inhaltlicher Klarheit,
    was genau mit welchen Methoden erlernt werden soll,
    egal ob durch eine gute Lehrerin oder eine Lern-App,
  • einem angenehmen sozialen Rahmen,
    in dem die Lernenden sich herzlich verbunden fühlen, emotional sicher und selbstbestimmt, klare Beziehungen & Bezugspersonen haben und Anerkennung für ihre Bemühungen erhalten.

Hattie-Studie-Lehrer-Lernerfolg-Faktoren-Rating-Lernen-Trainer-Coaches-Erfolg-Was ist wichtig

Empirische und theoretische Grundlage dafür bietet zum Beispiel die Hattie-Studie, die Selbstbestimmungstheorie oder das Flow-Modell, in welcher die Beziehungsqualität, die Lehrperson-Klarheit als auch die Kreativität und individuelle Passung des Unterrichts-Angebots ausschlaggebend sind für Lernerfolg.

Angebots-Nutzen-Modell für Lernprozesse

Ein umfassendes Modell für die Wirkfaktoren hinter Lernprozessen bietet das Angebots-Nutzen-Modell nach Andreas Helmke und Tina Seidel:

Lernprozesse gestalten, instructional design
Stephan Kulla (User:Stephan Kulla), CC0, via Wikimedia Commons

 

Schlussfolgerung für Lernprozess-Gestaltung

Lernprozesse, -räume und -erlebnisse sollten also so gestaltet werden, dass die obigen Emotionen und psychologischen Funktionen gewährleistet werden können: Begeisterung, angenehmer sozialer Rahmen und inhaltliche Klarheit.

Dabei eine Rolle spielen quasi alle inneren und äußeren Variablen der Lernenden und Lehrenden.