Was meinen wir mit einem psychologischen Widerstand? Wiederstände sind all das, was sich der für die Person wünschenswerten Entwicklungen entgegen stellt. Betrachtet werden hier vor allem die inneren Widerstände. Daneben gibt es natürlich auch äußere Widerstände aus Familie, Arbeit oder Gesellschaft.
Erklärung: Was sind psychologische Widerstände
Widerstände lassen sich im Kontext der Persönlichkeitsentwicklung und Coaching verstehen:
Psychologische Widerstände hindern einen Menschen daran, ein erfülltes Leben zu führen.
Also schauen wir uns zunächst an, was denn ein erfülltes Leben ausmacht – oder eben das Gegenteil:
Erfülltes Leben | Schwieriges Leben |
Eigene Bedürfnisse können erfüllt werden | wesentliche Bedürfnisse bleiben unerfüllt |
frei von Widerständen | starke Widerstände gegen die Erfüllung der Bedürfnisse |
aufkommende Widerstände können integriert werden | aufkommende Widerstände erschweren die Situation weiter |
kompetente Unterstützung in schwierigen Situationen | wenig kompetente Unterstützung in schwierigen Situationen |
Im erfolgreichen Fall können sich Menschen bei neu aufkommenden Widerständen und in schwierigen Situationen Hilfe suchen bei Freunden, Familienmitgliedern, Mentoren, Coaches oder dem Medizinmann des Vertrauens. Alleine zu wissen, dass ein anderer Mensch für einen da ist, ist schon eine große Hilfe.
Formen von Widerständen
- Abwehrmechanismen
- Verzettelung durch innere oder äußere Unordnung und viele Nebenkriegsschauplätze,
siehe psychologische Entropie - Unwissen und mangelnde Kompetenz
- Verwirrung und Unklarheit, auch durch Müdigkeit, Betäubungsmittel
- Stress
- Neurosen, emotionale Blockaden
- psychische Krankheitsmuster
- Traumatisierungen
Die Psychoanalytiker haben sich die Mühe gemacht und die Abwehrmechnismen genau betrachtet.
Wir können von ihrer Vorarbeit profitieren.
Abwehrmechanismen
In der Arbeit mit Menschen zeigt sich oft eine Abwehr von negativen Gefühlen oder Gedanken: die unangenehmen Gefühle und Gedanken können nicht zugelassen werden. Die Abwehrmechanismen dienen dazu, die unangenehmen Gefühle nicht direkt fühlen zu müssen. Sie halten uns dann aber auch davon ab, bewusst zu reflektieren, was eigentlich los ist. Wir unterscheiden dafür reife und primitive Abwehrmechanismen.
Reife Abwehrmechanismen
- Sublimierung: die höchste Form der Abwehr. Anstatt die negative Erfahrungen direkt zu verarbeiten, werden sie über einen längeren Zeitraum in nützliche, oft kreative Prozessen umgewandelt.
Beispiele für Sublimierung:- Susi hat eine große Angst vor Krankheit und Tod – sie reagiert mit großem Interesse an allem, was sich mit Krankheit beschäftigt. Später studiert Susi Medizin und wird Ärztin.
- Frieda Kahlo hatte einen tragischen Verkehrsunfall mit 17 Jahren und den Rest ihres Lebens starke Schmerzen. Sie verarbeitete seitdem ihr Leiden in ihren Kunstwerken.
- Hermann Hesse verarbeitete sein seelisches Leiden als Kind im Internat durch sein Buch „Unterm Rad“.
- Robin Williams, Rachmaninov,
- ostdeutsche Rockmusik verarbeitete künstlerisch die seelischen Leiden der Diktatur (Puhdys, Gundermann, Karat)
- dieser Artikel ist ein Produkt von Karls Sublimierungs-Prozess
- Verdrängung: die negativen Gefühle und Erfahrungen sind weiterhin zugänglich, aber werden lieber in den Schatten / Hintergrund gerückt und, wenn möglich, versteckt.
- Intellektualisierung: statt das unangenehme Gefühl zuzulassen, wird eher eine intellektuelle Erklärung für eine Situation aufgebracht und kann damit akzeptiert und entspannt werden. Auch Hochbegabung kann ein Anpassungsmechanismus sein, um mit sonst unangenehmen Erfahrungen zurechtzukommen.
- Rationalisierung: nachträglich werden unangenehme Erfahrungen rational gerechtfertigt.
Im positiven Fall ist dies als Reappraisal eine Möglichkeit, sich konstruktiv auf den weiteren Prozess einzulassen.
Der Übergang ist fließend zu Coping-Strategien: also nützlichen Mechanismen der Selbstregulation.
Normalerweise lernt ein Mensch als Kind, sich in seiner Umgebung zurechtzufinden und dafür passende Regulationsmechanismen. Diese Regulationsmechanismen nimmt dieser Mensch dann mit in sein späteres Erwachsenenleben – manchmal funktionieren sie gut und manchmal sind sind sie eher hinderlich.
Basale Abwehrmechanismen
Diese werden in der Fachliteratur meist „primitive“ Abwehrmechanismen genannt, da sie eher die animalische, unreflektierte Seite von uns zum Vorschein bringen. Sie kommen teilweise aus angeborenen Reflexen, die dem Überleben dienen und sind daher in einer eher friedlichen Welt und in einem selbstbewussten Erwachsenenleben eher dysfunktional. Oft ist dann eine gesunde Strategie die Umwandlung der starken Überlebensinstinkte in fließende Energie für ein erfolgreiches Erwachsenenleben: Wie kann die dahinterliegende Energie sinnvoll genutzt werden für die Person?
- Ausblenden und Leugnen
- Reizschutz (sich möglichst umfassend abschirmen vor relevanten und verwandten Reizen)
- Suche nach kontrollierbaren, sicheren Tätigkeiten und Strukturen
- Flucht, Kampf oder Erstarren (fight, flight, freeze)
- Regression (in kindliche Verhaltensweisen verfallen, z.B. Trotz oder Anhänglichkeit)
- Dissoziation (geistiges Abschweifen)
- Ungeschehenmachen – so tun, als wäre ein unangenehmes Ereignis nie geschehen… oft einhergehend mit Zwangshandlung zur Umkehr des Ereignisses (Waschzwang gegen Unreinheit, besonders gesunde Ernährung nach einem Alkoholrausch, übermäßiges Reinigen nach dem Sex)
- Triebabfuhr
- Projektion auf andere Menschen, speziell Übertragung
- Introjektion ist das Einverleiben fremder Urteile, Emotionen und Verhaltensweisen als Ersatz für eigene Verarbeitung
Diese stärkeren, primitiveren Abwehrmechanismen kommen in Gang angesichts des Todes und existenzieller Risiken. Wenn sie einmal erlernt wurden, können sie sich auch später im Leben immer wieder zeigen, auch in Kontexten, in denen sie zunächst keinen Sinn ergeben.
Metapher für primitive Abwehrmechanismen
Dämme werden gebaut gegen die Sturme der Naturkräfte. Manchmal werden Reize zu stark, der Damm kann brechen. Dann ist es eine Strategie, einen Teil des überfluteten Landes aufzugeben und abzuspalten und sich auf ein sicheres Stück Land zurückzuziehen.
Umgang mit Widerständen
- Umgehen
- Akzeptieren
- Analysieren
- Durchbrechen
- Den Widerstand nutzen (utilisieren)
- Paradoxe Intervention
- die Hinter dem Widerstand liegende Energie neu kanalisieren
- die zu dem Widerstand gehörenden Ressourcen nutzen
- Experimentieren mit Variationen des Widerstands
- Erfahren von positiven Erlebnissen ohne den Widerstand,
- Förderung von Selbstwirksamkeit
Umgang mit Widerständen im Coaching: Welche Strategie sollten wir wählen?
Letztlich: das, was dem Menschen hilft und was er realistisch leisten kann.
Wenn sich ein Mensch schon ein halbes Leben lang betäubt hat, wird es schwer, ihn da wieder raus rauszukriegen, geschweigedenn so nebenbei zu einer Erkenntnis zu führen. Eine paradoxe Intervention ist grundsätzlich ein mächtiger Ansatz, sollte nur probiert werden, wenn die Person sonst stabil genug dafür ist und du als Coach sicher darin bist.
Viele spirituelle und Achtsamkeitsmethoden können verstanden werden als Ansatz für „Es ist zwar irgendwas schief gelaufen bisher (ein Widerstand ist da und bleibt hartnäckig), aber wir versuchen mal trotzdem Freude am sonstigen Leben zu finden und uns zu harmonisieren, so gut es eben gerade geht“.
Gute seelische Helfer können Widerstände integrieren
Darüber hinaus gibt es helfende Kompetenzen, helping skills: diese können wir unterscheiden in Beziehungskompetenz und Coaching-Kompetenz.
Beziehungskompetenz beinhaltet eher die Präsenz, liebevolle Verbundenheit, emotionale Anteilnahme, das Containing, Pacing & Leading.
Coaching-Kompetenz beinhaltet neben der Wahl des richtigen Rahmens vor allem kommunikative Kompetenzen:
- Exploration des Themas durch die Anamnese und tiefergehende Fragen und Erzählungen des Klienten,
sowie durch Öffnen von kreativen Möglichkeitsräumen - Erkenntnisse herbeiführen,
zum Beispiel durch sokratische Fragen, Perspektive Fragen, Aufstellungen, kritisches Hinterfragen von Annahmen und Glaubenssätzen. - Handlung und Umsetzung, durch Ziele, Verankerung, Monitoring und Produktivität.
Das Ziel der Arbeit mit Menschen ist meist:
- Persönlichkeitsentwicklung
- Selbstreflexion & Bewusstheit über sich selbst, den sozialen Kontext und die Welt
- Lösen von Leid und unsortierten Emotionen
- Aufbau von Selbstbewusstsein, Selbstwirksamkeit, Glück, Flow, gesunden Gewohnheiten und Kompetenzen
Wenn diese Entwicklungsprozesse entgegen einer für die Person wünschenswerten behindert sind durch innere Trägheiten, Unklarheiten, Neurosen, Widersprüche, Blockaden, Abwehrmechanismen oder blinde Flecke, sprechen wir allgemein von Widerständen. Letztlich können auch alle im ICD definierten psychischen Störungsmuster als Extremform von Widerständen verstanden werden.
Ausblick: Widerstände integrieren als Weg für psychologische & spirituelle Entwicklung
Hier sprechen wir zu den höheren Funktionen des menschlichen Geistes: die Fähigkeiten, das Unangenehme im Leben zu integrieren in einen höheren Kontext und durch Humor, Kreativität, Bewusstheit zu einem geistigen und seelischen Zustand von Harmonie zu kommen: ist so ein Zustand erst einmal erlangt, geschieht Integration von Widerständen leichter.
Umgekehrt: ein höherer geistiger und seelischer Zustand kann umso leichter eingenommen werden, je erfolgreicher eine Person schon viele Widerstände integriert hat.
Daraus folgt: Widerstände zu integrieren ist eine effektive Methode für einen erfülltes Dasein.
Also: Auf geht’s! Integriere, was das Zeug hält, bei dir und anderen. Wir können dabei nur gewinnen. Je mehr Widerstände wir kennen und integriert haben, desto mehr können wir erkennen und integrieren, bei uns wie bei anderen.
Frühere Bemühungen, die Integration von Widerständen zu kultivieren, finden wir in Religion und Mythen: Jesus, Buddha und moderne Mythen wie Harry Potter oder Herr der Ringe bieten eine Orientierung zum Umgang mit den Widrigkeiten des Menschseins. Joseph Campbell leitete daraus die Heldenreise ab. Unsere Workshops und Seminare sind so gestaltet, dass sie im Sinne der Heldenreise zu einem Zustand höherer Kreativität und Bewusstheit verhelfen und dafür Coaching- und Kreativitäts-Methoden zur Integration von Widerständen nutzen.
Der Segen der inneren Widerstände:
Eine LKW-Ladung Kuhkacke
In seinem Buch »A truckload of dung« erzählt Ajahn Brahm, was nach seiner Beobachtung einen guten Lehrer ausmacht. Er benutzt dafür die Metapher der „LKW-Ladung Kuhkacke“ für die seelischen Widrigkeiten des Lebens:
Wir alle bekommen eine Ladung Kuhkacke vor unsrem Haus abgesetzt mit folgenden Spielregeln:
- Sie ist richtig eklig und stinkt fürchterlich.
- Wir können selbst gar nichts für die Kuhkacke.
- Wir können nichts dagegen tun, sie ist nun einmal da.
- Sie verschwindet nicht wieder von alleine.
- Wir müssen sie selbst wegschaufeln, wenn sie verschwinden soll.
Strategie: die Kuhkacke schaufelweise im Garten zu verbuddeln, sodass sie den Boden düngt und darauf schöne Blumen und leckeres Gemüse wachsen kann.
Erklärung: Die Kuhkacke steht nun also für die Widrigkeiten des Lebens, zum Beispiel für innere Widerstände. Wir müssen die inneren Widerstände und seelischen Leiden also schaufelweise integrieren.
Wir können versuchen, die Kuhkacke zu ignorieren, aber dann stinkt es eben weiter und wir leiden weiter vor uns hin.
Je nach Größe des Haufens und der eigenen Schaufel-Kapazität kann es auch einmal mehrere Jahre dauern, ehe die Kacke weggeschaufelt ist. Manche schaufeln ihre Kacke auch gar nicht weg und vererben sie an die Kinder.
Und was macht nun einen guten Lehrer aus?
Nach Ajahn Brahms Beobachtung haben die meisten Mönche um ihn herum es geschafft, ihre Kuhkacke wegzuschaufeln und konnten ein glückliches, friedliches Leben führen mit Dankbarkeit und Meditation.
Allerdings wurden nur manche von ihnen gute Lehrer: diejenigen, die einen besonders großen Berg Kuhkacke vor die Tür gesetzt bekommen haben. Sie kennen alle Schattenseiten der Kuhkacke und können daher besonders gut bei anderen Menschen erkennen, wo sie gerade stehen in ihrem Bemühen, die Kuhkacke wegzuräumen.
Quellen und weitergehende Informationen
- Rätsel des Unbewußten, Podcast zur Psychoanalyse und Psychotherapie, Folge 25: Widerstand. Oder: Warum wir nicht wollen, was wir wollen
- Stavros Mentzos: Lehrbuch der Psychodynamik. Die Funktion der Dysfunktionalität psychischer Störungen. Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen 2014, ISBN 978-3-525-40123-1, doi:10.13109/9783666401237.
- Eine Landkarte für die Ebenen des Bewusstseins bietet Spiral Dynamics.