Das Coaching-Modell: 4 Phasen des agilen Coaching-Prozesses

Das Coaching-Modell gibt uns Orientierung für die Arbeit mit Menschen. Es hilft denjenigen, die mit Menschen arbeiten, sinnvolle Schritte und Methoden auszuwählen und zum Wohle des Caochees zu nutzen. Daraus kann dann gelernt werden, und der Coachee wird durch die komplexen Landschaften der psychologischen Entwicklung geführt.

Warum ein agiles Coaching-Modell?

Warum ist ein Coaching-Modell wichtig? Ein echter, lebendiger Coaching-Prozess ist selten einfach und linear, er gleicht eher dem Entwirren eines Wollknäuels: kreativer-prozess-chaos-linie-kreativität-organisationsdesign-organisationsentwicklung

Warum ist das so? Weil das Gehirn des Menschen das komplexeste Konstrukt unseres bekanntes Universums ist: 100 Milliarden miteinander vernetzte Nervenzellen sorgen für unheimlich viel Dynamik und Phänomene. Natürlich versuchen wir, diese als Muster zu erkennen – jedoch sind Muster, Modelle, Theorien und Coaching-Methoden immer nur Schablonen der Wirklichkeit.

Wir sehen selten gleich am Anfang in einer menschlichen Begegnung, welche verborgenen Themen, Schatten, Dynamiken und Zusammenhänge sich hinter dem ersten Anliegen verbergen. Wir müssen uns also erst etwas durch das Dunkel tasten. Nach den ersten Begegnungen und Experimenten miteinander lernen wir, was da eigentlich noch so alles schlummert und lauert.

Resignieren? Niemals! Als Coaches sind wir Forscher und Abenteurer, die sich der Herausforderung stellen, selbst dazu lernen, die Beziehungen zum Klienten Stück für Stück aufbauen und mit der Zeit weiser und kreativer noch werden.

Konkret: Wir wählen einen agilen Prozess, ähnlich wie in der Wissenschaft oder Designer oder Software-Entwickler, die auch am Anfang nicht wissen können, wie das finale Resultat aussieht. Für einen agilen Prozess brauchen wir daher einen Coaching-Grundschritt, den wir immer und immer wieder durchlaufen können, bis sich eine Sättigung ergibt und die Wünsche und Ziele des Coachings konvergieren – das soll heißen, dass der Klient einen Gleichgewichtszustand erreicht, hoffentlich einen möglichst gesunden Gleichgewichtszustand.

Was sollte inhaltlich innerhalb eines Coaching-Durchlaufs passieren?

  • Der Coachee sollte einen Schritt in Richtung sinnvoller Veränderung gehen
  • Wir und der Coachee können etwas mehr verstehen: worum geht es? Was sind die Zusammenhänge? Wo steckt der Coachee fest und wohin kann er sich entwickeln?
  • Der Coachee fühlt sich stärker durch den Prozess

Fehlt noch etwas?
Die Umgebungsfaktoren: die Coach-Coachee-Beziehung, Vertraulichkeit, ein klarer Rahmen für die Zusammenarbeit, eine angenehme Atmosphäre, eine positive Haltung des Coaches und die Ausrichtung des Prozesses auf den Sinn für den Coachee… Wir definieren sie unten als Wirkfaktoren. Doch zunächst schärfen wir den agilen Prozess.

Der Kern des agilen Coaching-Prozesses

Eine einfache, klare Abfolge für den Grundschritt eines Coaching-Prozesses lautet wie folgt:

  1. Anamnese: eine signifikante Bestandsaufnahme über das Anliegen des Klienten in Richtung einer Zielstellung, wann das Anliegen erfüllt ist. Eine ausführliche Anamnese untersucht
    • das aktuelle Anliegen,
    • die dazugehörigen Emotionen und Bedürfnisse,
    • vielleicht auch dazugehörige positive Ressourcen.
    • eine Zielrichtung: „Wohin willst du dich entwickeln?“, „Wann wäre dein Anliegen für dich zufriedenstellend gelöst?“. Das Ziel wird dabei stets durch den Coach mitverhandelt bezüglich der Erreichbarkeit und des Sinns
    • Konkretisierung: „Wie sehen die genauen Umstände aus, wenn dein Ziel erreicht ist? Was sind die Kriterien dafür? Wie fühlst du dich, wenn dein Ziel erreicht ist?“
  2. Ressourcenaktivierung: Ressourcen sind alles, was genutzt werden kann für den Coaching-Prozess:
    allgemeine Stärken, positive Erfahrungen und Möglichkeiten des Coachees, insbesondere zu dem Anliegen passende positive Erfahrungen, Erfolgserlebnisse, Beziehungen und Kompetenzen.
    In dieser Phase werden vor allem die unterstützenden Ressourcen betont, die das Anliegen unterstützen. Das gibt ein positives Fundament und alles Weitere geht leichter von Hand. Manchmal ist die Ressourcenaktivierung schon die ganze Lösung des Problems, zum Beispiel bei kurzfristigen emotionalen Negativfokus. Manchmal braucht es einfach ein Gegenüber, dass einem hilft, nicht alles schwarz zu sehen.
  3. Intervention: für das Problem passende Methoden und Techniken, die den Klienten in Richtung Problemlösung führen. Hier wird Coaching zur Kunst, indem der Coach einen möglichst großen Methodenkoffer hat, aus dem er schöpfen kann. Es gibt unzählige Interventionstechniken:  Fragetechniken, Entspannungstechniken, paradoxe Intervention, Arbeitsaufträge… es gibt einen Überfluss an interessanten Methoden. Wichtig ist: sie sollte funktional sein, d.h. konkret ausgerichtet auf das Anliegen, Ziel, die Gesamtperspektive und die Möglichkeiten des Coachees.
  4. Reflexion: Wie war’s? Was nimmst du mit? Wie gehts dir jetzt? Was konnte beobachtet, erfahren und erreicht werden? Was fehlt noch? Welche neuen Erkenntnisse traten auf? Gab es Überraschungen, wurden weitere Anliegen aufgedeckt? Was sind Wünsche fürs nächste mal?

Agiler Coaching-Prozess - Coaching-Modell - Beratung - Psychologie - Unternehmen

Dass iterative Modell hat den Vorteil, dass es immer einen Fahrplan vorgibt für den Coach. Wenn man einmal eingespielt ist und der Coach genau weiß, was es braucht, kann natürlich auch die Anamnese sehr kurz gehalten werden bzw. ganz wegfallen. Es geht nicht darum, den Zyklus streng einzuhalten, sondern eine Orientierung zu finden, wenn man sie braucht.

Dieser Zyklus ist verwandt mit vielen anderen agilen, iterativen Methoden wie Scrum, dem Demming-Zyklus, Design Thinking oder dem OODA-Loop (zur Übersicht agiler Methdoen).

 

Begründung für die Reihenfolge der Prozessschritte im Coaching-Modell

Die Anamnese am Anfang schafft den nötigen Raum für ein relevantes Verständnis und erhöht die Wahrscheinlichkeit, eine passende Intervention zu finden, gleichzeitig gibt sie dem Klienten Sicherheit und das Gefühl, hier verstanden zu werden, was schon im Sinne des Containings und der Coach-Klient-Beziehung eine förderliche („Placebo“) Wirkung haben kann.

Bei einem Klient mit guten Ressourcen kann auch direkt eine Intervention durchgeführt werden, sofern das Verständnis klar ist, jedoch helfen Ressourcen der Sicherheit, Stärke und Verbundenheit immer. Sie erhöhen außerdem die Wahrscheinlichkeit, dass die Intervention angenommen und nicht mit Widerständen abgewehrt wird.

Die Intervention in Richtung sinnvoller Weiterentwicklung ist der primäre Sinn des Coachings (dahinter gibt es auch sekundäre wie die Beziehung und das Gefühl des Verstandenwerdens an sich oder Wunsch nach Integration verborgener Spannungen und die persönliche Entwicklung).

Die Erkenntnis am Ende mag auch schon zu Beginn als Hypothese da sein, sollte aber stets mit empirischen, hier qualitativen, Daten fundiert werden, da natürlich auch Coaches zu Selbstbetrug neigen und vielleicht erst mit der Zeit auf spannende Quellen der Dynamik stoßen.

Arbeit mit Menschen: nicht nur für Coaches

Coaching ist nichts anderes, als Menschen zu helfen, eine Herausforderung zu lösen. Damit ist ein Coaching-Modell auch anwendbar für alle, die dies unter anderem Namen tun: Führungskräfte, Lehrer, Therapeuten, Pädagogen, Personaler, Ärzte oder Berater in Behörden.

Das Coaching-Modell soll dabei Orientierung und Rahmen bieten, um nicht beim Fischen im Dunkeln zu ertrinken oder in stumpfere Kommunikationsmuster zu verfallen.

Im besten Fall macht es Spaß: denn es bietet einen Spielrahmen für Neugier, Interaktion, Überraschungen und in der agilen Struktur eine Möglichkeit, in wiederkehrenden Runden auf neue Art gemeinsam zu lernen und zu wachsen.

Wirkfaktoren für den Coaching-Erfolg

Mit diesem allgemeinen Coaching-Kernprozess lassen sich sämtliche Anliegen im Coaching bearbeiten. Der Erfolg hängt dann maßgeblich ab von:

  • der Coach-Coachee-Beziehung
  • dem klaren Rahmen des Coachings
  • der Treffsicherheit der Anamnese
  • der Funktionalität der Intervention
  • den Ressourcen des Klienten
  • der Fähigkeit zur Kurskorrektur durch die Reflexion

Coaching-Kompetenzen

Das Fundament bilden für einen angehenden Coach und dessen Coaching-Kompetenz bilden also:

Diese Fähigkeiten sollten dann je nach Anliegen und Klient erweitert werden um:

Stile und Coaching-Methoden

Wir können die Interventionen und Coaching-Methoden danach unterscheiden, welche Funktion sie für den Coachee erfüllen:

Gerade die komplexeren Methoden lassen sich nicht so leicht kategorisieren: eine Aufstellung kann sowohl Erkenntnis schaffen – und dadurch die Selbstorganisation fördern und zu einer Verhaltensänderung führen, da die bisherigen Widerstände damit aufgelöst werden können und neues Verhalten nun leichter möglich ist. An erster Stelle stand aber die Erkenntnis über die Quelle einer inneren Spannung, die durch die Aufstellung des Familiensystems vielleicht ans Tageslicht gebracht werden kann.

Warnung vor vereinfachenden Methoden und Heilsversprechen

Es gibt mindestens so viele Coaching-Methoden wie es Coaching-Ausbilder gibt. Es ist sehr leicht, eine neue Methode zu erfinden: variiere die Schritte und Namen der einzelnen Schritte, füge ein Prinzip hinzu – und schwuppdiwupp hast du eine „neue“ Methode. Gleichzeitig gibt es keine Allheil-Methoden: jeder Mensch, jedes Setting ist anders, die Realität ist immer komplexer als ein paar Methodenschritte.

Jeder, der eine Methode als die einzig nötige und richtige anpreist, offenbart sich damit eher als Kurpfuscher denn als beherzter Mensch. Auf LinkedIn und Facebook werden selbst ernannte Erfolgscoaches nur so um sich mit der ultimativen, natürlich streng geheimen Methode. Damit steht die Coaching-Branche zurecht in starker Kritik.

…mehr zur kritischen Perspektive auf Coaching in folgendem Beitrag:
[5 Fehler] Systemisches Coaching Kritik + wissenschaftliche Einordnung

 

Listen mit Methoden & Interventionstechniken


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