Exkurs zu Werten und Wertungen bei Spiral Dynamics
Wenn in Spiral Dynamics die Rede von “höheren” und “niedrigeren” Stufen ist, erschrecken viele oft und lehnen die darin enthaltene Hierarchie ab. Hier sind einige wichtige Bemerkungen zu machen. Die wichtigste ist, dass höher nicht zwangsweise höherwertig bedeutet und niedriger nicht niederwertig. Ist ein 60-Jähriger höherwertiger als ein 12-Jähriger, weil er viel mehr Lebenserfahrung und ein facettenreicheres und fundierteres Weltbild besitzt? Sicherlich nicht. Dennoch ist der 60-Jährige zweifelsohne weiter in seinem Leben forangeschritten. Im Gegenzug bringt der 12-Jährige frische Ideen und Energien in die Gesellschaft und besitzt selbst das Potenzial mit 60 weiter entwickelt zu sein, als der heutige 60jährige.
In diesem Beispiel wäre es falsch, Wertungen vorzunehmen. Wenn man andererseits jedoch beispielsweise die Auffassung, dass die Ideen eines Sokrates oder Buddhas im Vergleich zu den Ideen eines Hitlers oder Stalins weiter entwickelt sind, aus einer grundsätzlichen Kritik an Wertigkeitsstufen rundheraus ablehnen würde, dann würde das bedeuten, dass wir jeder wahnsinnigen Ideologie Tür und Tor öffnen, solange sie nur genügend propagiert werden und ausreichend Anhänger finden. Da alle Lebensentwürfe gleich gut sind, gäbe es keine argumentative Basis, um diese abzulehnen. Letztlich kann eine Gesellschaft nicht ohne Werte funktionieren.
Das grundsätzliche Problem mit Wertungen
Es ist gleichzeitig richtig und falsch Wertungen vorzunehmen. Ein Beispiel: Ist das Leben in Stammesverbänden schlechter oder besser als in einer postindustriellen Großstadt? Ja und nein: Es hängt von den Umständen ab. Das Leben in Stammesverbänden wäre heute kaum funktional und andersherum wäre das Verhalten und Mindset eines Großstädters damals kaum funktional gewesen. Insofern ist jede Organisationsform per se weder gut noch schlecht, weil sie nicht losgelöst von den jeweiligen Umständen betrachtet werden kann. Unter heutigen Umständen wären frühere Organisationsformen weniger funktional und daher “schlechter” und moderne und zukünftige Organisationsformen sind funktionaler und daher “besser”.
Wenn wir also die Frage nach Hierarchien und Wertigkeiten stellen, wird es sehr schnell sehr komplex. Glücklicherweise bietet Spiral Dynamics den Raum für diese Komplexität und fordert diese auch selber ein: jede Organisation und jeder Mensch – die Realität als solche – ist komplex, facettenreich und vieldeutig und manchmal widersprüchlich. Daher kann kein Mensch einfach in eine Schublade gesteckt werden und auf dieser Grundlage bewertet werden und sollte es auch nicht. Andererseits können wir nicht nicht bewerten. Denn dann wären beispielsweise eine schwere Drogensucht und die Mitgliedschaft in einem Fußballverein gleich gut bzw. schlecht.
Also gibt es Typen von Erfahrungen, Mindsets und Verhaltensweisen, die man analysieren und kategorisieren kann. Deren verschiedene Aspekte können unterschiedlich gelagert sein und können mithilfe des Modells von Spiral Dynamics in ihrer Komplexität erfasst werden. Dennoch ist Spiral Dynamics schließlich nur ein Modell und teilt die Schwächen, die alle Modelle haben. Das sollte man im Hinterkopf behalten.