Welche Lernprozesse gibt es?

Ich betrachte hier didaktische Möglichkeiten, ein Thema als Lernprozess zu strukturieren. Daneben gibt es noch weitere Unterscheidungen von Lernprozessen (zum Beispiel durch unbewusstes Lernen, informelles Lernen etc.), aber ich betrachte hier nur die Arten von Lernprozess, die gezielt zur Wissens- und Kompetenzvermittlung eingesetzt werden.

Definition Lernprozess

Der Lernprozess ist eine Abfolge von Lernaktivitäten, durch den eine Person (»Schüler«) neues Wissen, Fähigkeiten oder Verhaltensweisen erwirbt. Der Lernprozess wird durch Einflussfaktoren wie Motivation, Umgebung, emotionale Zustände, didaktische Prozesstruktur und vorhandenes Vorwissen beeinflusst. Es ist ein dynamischer Prozess, der auf einer Kombination aus Input, Verarbeitung, Interaktion und Output basiert. Der Lernprozess kann durch eine Vielzahl von Methoden und Ansätzen unterstützt werden, wie z.B. direkte Instruktion, selbstgesteuertes Lernen oder Feedback.

In diesem Artikel schaue ich

  1. auf die verschiedenen didaktischen Strategien für die Formung von Lernprozessen,
  2. den Ausgangspunkt zur Entwicklung eines Lernprozesses, abhängig vom Auftraggeber
  3. verschiedene Strukturformen für Lernprozesse (linear vs. zirkulär)

 

A Drei Arten von didaktischen Lernprozessen

  • Induktiver Lernprozess: Ich beginne mit so wenig Grundannahmen wie möglich und leite aus Beobachtungen allgemeinere, höhere Gesetzmäßigkeiten her. Wird beispielsweise in der Mathematik an Universitäten gerne angewandt. Damit ermöglicht man den Studenten einen logischen Wissensaufbau, ist aber auch intellektuell sehr anspruchsvoll.
  • Deduktiver Lernprozess: es wird Wissen von einem bestehenden Modell hergeleitet. Damit kann ein zentrales Modell gefestigt werden. Nachteil: Das Modell selbst wird evtl. nicht logisch begründet. Vorteil: Man spart sich den Aufwand des Modell-Herleitens wie beim induktiven Lernen.
  • Konstruktivistischer Lernprozess: es wird das möglichst leicht zugängliche Vorwissen der Schüler aktiviert und genutzt, unabhängig davon, ob es bereits induktiv bewiesen wurde oder ein Modell vorhanden ist. Eine Spezialform davon ist das Experienced based Learning (dt. erfahrungsbasiertes Lernen). Dies setzt eine durch die Schüler gemachte Erfahrung für die Sicherung des Wissens voraus und stellt daher möglichst einprägsame Lern-Erlebnisse ins Zentrum des Lernprozesses.

Meistens ist das erfahrungsbasierte Lernen induktiv, da aus einer empirischen Erfahrung eine Gesetzmäßigkeit hergeleitet wird. Jedoch ist nicht jeder logische Schluss notwendig und es braucht keine Beweise für die Akzeptanz einer Theorie oder Methode – es genügt, wenn sie mit der Erfahrung übereinstimmt.

Mikro-Lernprozess: Didaktischer 3-Schritt

Der didaktische 3-Schritt besteht aus:

  1. Einleitung,
  2. Erarbeitung,
  3. Sicherung.

…und ist auf alle obigen Arten von Lernprozessen anwendbar: die Erarbeitung kann sowohl induktiv erfolgen, als auch deduktiv als auch konstruktivistisch.

 

B Wer ist der Auftraggeber des Lernprozesses?

  1. Eine höhere Instanz (Gesellschaft, Leitungsebene) gibt ein Lernziel in Form von Kompetenzen und Wissen vor.
    • Beispiel: alle Abiturienten müssen Differential- und Integralrechnung lernen, um ihr Abitur zu machen.
  2. Die Schüler als Zielgruppe, deren Potential entfaltet werden soll oder deren Lernbedürfnisse erfüllt werden soll
    • Beispiel: Das Marketing- und PR-Team einer Behörde möchte kreativer werden und sucht dafür einen Dozenten für Kreativitätstechniken.
  3. Der Lehrer und des Lehrers Kompetenzen geben den Prozess vor
    • Beispiel: Eine Lehrerin begeistert sich für Roboter und künstliche Intelligenz und bietet eine freiwillige AG für Schüler eines Gymnasiums an, in der sie ihre Begeisterung weitergibt, ohne dass ein Ziel erreicht werden muss
  4. Lebenswelt: Es gibt ein aktuell bedeutsames Thema, welches erschlossen werden soll
    • Beispiel: Eine Hochschule veranstaltet eine fakultätsübergreifende Projektwoche an zum Thema Klimawandel, in der alle Hochschulangehörigen Seminare anbieten und besuchen können

Jeder unterschiedliche Akteur in einem Bildungssystem hat auch unterschiedliche Intentionen. Typische Intentionen sind zum Beispiel:

  1. Höhere Instanz (Gesellschaft, Chef): politischen Auftrag verwirklichen, Produktivität steigern, sich selbst mit Lernleistung rühmen, gesellschaftliche Probleme lösen
  2. Schüler / Nutzer des Lernprozesses: Vorgesetzte (Eltern) zufriedenstellen, „es hinter sich bringen“, erfolgreiche Leistung zeigen, gelobt werden, echte Neugier, Spaß haben, neue Fähigkeiten lernen, Zeit mit anderen Menschen verbringen
  3. Lehrer / Dozenten: Geld verdienen, Status, Anerkennung, „es hinter sich bringen“, Vorgaben von oben abarbeiten, Lernende zufriedenstellen, geliebt werden, eigene Begeisterung weitergeben, eigener Neugier nachgehen, gesellschaftlichen Sinn verwirklichen
  4. Lebenswelt: Lösung von Problemen, Aufmerksamkeit, Innovation, Themen verknüpfen

 

Kohärente Lernprozesse

Kohärenter Lernprozess

Im besten Fall kommen alle vier „Auftraggeber“ überein und es ergibt sich ein stimmiger Lernprozess für alle beteiligten. In der Schule dominiert leider oft das von oben gegebene Lernziel durch den Rahmenlehrplan oder die Abschlussprüfungen, ebenso in Hochschulen (wo es dafür meist mehrere Wahlmöglichkeiten gibt, die dann meist aus der Dozentenperspektive entwickelt wurden).

In Weiterbildungs-Seminaren, die von Unternehmen und Organisationen gebucht oder besucht werden, gibt es nach meiner Erfahrung oft die Berücksichtigung aller vier Auftrags-Prämissen.

Beispiel: Ein Unternehmen bucht für das oberste Management-Team eine Weiterbildung zum Thema „Die 7 Wege der Effektivität“ nach Stephen Covey und möchte damit:

  1. von oben die Effektivität des Unternehmens fördern,
  2. den Mitarbeitern helfen, erfolgreicher zu sein und ihre Herausforderungen zu lösen,
  3.  einen authentischen Trainer haben, der seine Begeisterung für das Thema weitergibt,
  4. ein berühmtes Buch als Vorbild nehmen, welches schon vorhergehende Generationen von Führungskräften geprägt hat.

 

C Strukturformen von Lernprozessen

Didaktik - Welche Arten von Lernprozessen gibt es

Unabhängig von den obigen didaktischen Prinzipien ergeben sich verschiedene Strategien, wie die Lerninhalte strukturiert werden in der Planung der Lerneinheiten.

  • linear
  • iterativ / zirkular
  • spannungs-basiert

Design Prinzipien für die Ausgestaltung des Lernprozesses

  • Lernprozess-Kosmetik: Was aufgemacht wird, sollte auch wieder zugemacht werden in Form von Sicherungen
  • Klarheit für den Lehrer, Klarheit für die Schüler
  • Pragmatismus: Was funktioniert, ist gut (falls die Schüler sich zB doch nach Frontalunterricht sehnen)
  • Viel Aktivierung (von Reizen und Motivationen und Vorwissen) hilft dem Lernen viel

 

Glossar: Durchsehen im Begriffsdschungel der Lernmodelle

Learning Experience Design (LXD) bezieht sich auf den Prozess des Entwerfens und Durchführens von Lernumgebungen, die möglichst angenehm als auch effektiv sind. Es legt einen starken Fokus auf die Verwendung von Technologie und interaktiven Elementen, um Lernende aktiv und direkt in den Lernprozess einzubeziehen.

Didaktik ist der Bereich der Bildungswissenschaft, der sich mit der systematischen Planung, Organisation und Umsetzung von Lernprozessen und Lerninhalten befasst.

Erfahrungsbasiertes Lernen bezieht sich auf den Prozess des Lernens durch direkte Erfahrung und Interaktion mit der Welt. Es zielt darauf ab, Lernende durch praktische Anwendungen zu befähigen, Wissen und Fähigkeiten zu erwerben. Dies entspricht der Idee des Lern-Konstruktivismus. Auf englisch auch: Experiential Learning als auch Experience-based Learning, siehe [2]

Konstruktivismus ist eine Lerntheorie, die besagt, dass Lernende ihr Wissen auf Grundlage ihrer Erfahrungen und Vorkenntnisse konstruieren. Konstruktivismus betont die Bedeutung von aktivem Lernen und die Rolle des Lehrers als Führer und Facilitator im Lernprozess.

Instructional Design bezieht sich auf den Prozess des Gestaltens von Lehr- und Lernmaterialien. Es beinhaltet die Anwendung von Didaktik, Lernpsychologie und Technologie, um effektive Lernprozesse und Lernumgebungen zu schaffen. In der Schule hieße dies Unterrichtsplanung.

Gamification bezieht sich auf die Anwendung von Spielelementen in nicht-spielerischen Kontexten, um Motivation und Engagement zu steigern. Durch Gamification kann eine höhere Intensität der Lernerfahrungen ermöglicht werden.

 

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