Es ist erwiesen: die Motivation steigt und wir lernen leichter, wenn wir mit Gamification lernen – egal ob in der Schule, Hochschule oder in Workshops & Trainings.
In diesem Artikel zeige ich dir, wie du mit Gamification deine Lernprozesse bereichern kannst: für mehr Lernerfolg, Motivation, Interaktion, Neugier, Flow, Selbstwirksamkeit und Freude an der Bildung.
Denn: Gamification ist zu gut, um drauf zu verzichten!
3 Modelle, um Lernen zu gamifizieren
Ich zeige dir in diesem Artikel drei verschiedene Zugänge, wie du mit Gamification Lernen und Lehren spannend und motivierend gestalten kannst:
- Experienced Based Learning zeigt dir einen idealen Lernprozess als Heldenreise auf.
- Das Octalysis-Modell nennt 8 Motivationen und Handlungstriebe.
- Der Gamification Canvas gibt dir eine Vorlage, um ein einfaches Gamification Konzept für dein nächstes Projekt zu skizzieren. Mit der Workshop-Checkliste kannst du dich auf einen konkreten Workshop oder eine Unterrichtseinheit vorbereiten.
Das beste an Gamification ist, dass es nicht nur den Schülern mehr Spaß bringt, sondern auch den Lehrern und Dozenten, die durch Gamification mehr Kreativität freisetzen. Ziel ist es, die Motivation zu maximieren und Selbstwirksamkeit der Lernenden zu fördern. Dazu passt folgendes Zitat über eine Sackgasse des Schulsystems des 20. Jahrhunderts:
Die Aufgabe von Schule ist es nicht, das Misslingen zu dokumentieren, sondern das Gelingen zu organisieren.
…und um das Gelingen zu organisieren, kannst du viel positive Energie in die Entwicklung und Durchführung deines Lernprozesses fließen lassen.
I Gamification-Pyramide
Die Gamification-Pyramide führt durch einen Prozess mit 3 Ebenen:
- Dynamik: Das Fundament bildet eine Grunddynamik, auch Core Loop, welche das zugrundeliegende Thema rhythmisiert. Ein Rhythmus bietet zum Beispiel die Möglichkeiten, Spielrunden zu definieren mit Feedback- und Belohnungs-Schleifen.
- Mechanik: Hier kannst du deine Lieblings-Spielmechaniken anwenden, zum Beispiel Freischaltungen, Herausforderungen (Quests), Wettbewerbe…
- Ästhethik: Die Spielelemente sollen einer logischen Dynamik und Mechanik folgen – aber auch schön aussehen und durch inspirierende Geschichten einlullen.
Für Lernprozesse bedeutet dies, dass du zunächst eine Grundstruktur des Lernstoffs schaffst und einen Arbeitsrhythmus definierst (zum Beispiel in Mathematik das Bearbeiten von Aufgaben und Vergleichen des Ergebnisses mit der Musterlösung). Danach kannst du verschiedenste Spielmechaniken darüberlegen, zum Beispiel Hilfsgerüste, Wettbewerbe oder das Freischalten von Videos oder Anwendungsthemen. Zuletzt könntest du einen Spielplan entwickeln, der den Fortschritt beim Lernen visualisiert.
Die Gamification-Pyramide hilft dir bei der Gesamtkomposition eines Spielkonzeptes. Die beiden folgenden Modelle helfen dir dabei, spieler-zentrierte Ansätze zu finden durch
–> die 8 Octalysis-Spieltriebe (II) und
–> eine Gesamt-Dramaturgie mit dem Konzept des „Experience-based Learning“ (III).
II Octalysis: Motivations-Prinzipien
Büffeln und Pauken ist anstrengend, aber mit Gamification-Elementen können Lernprozesse zum Abenteuer werden. Das Octalysis-Modell nennt dafür 8 Spieltriebe, wie in der Abbildung und folgenden Tabelle dargestellt.
8 Spieltriebe
Diese 8 Spieltriebe können als eine spezielle Form von Lernmotivationen gesehen werden. Nach der Selbstbestimmungstheorie gibt es 3 Lernbedürfnisse: Fortschritt, Autonomie und soziale Interaktion. Diese finden sich in Kombinationen auch in dem Octalysis-Modell von Yu-kai Chou wieder.
Spielmotivation | Anwendung Gamifizierung fürs Lernen |
Sinn | Benenne ein klares Ziel und den Sinn hinter dem Lernschritt. Benutze ein schönes Storytelling. |
Empowerment | Strahle selbst Begeisterung aus, gib Anerkennung & Lob, ermutige, fokussiere auf das Positive. |
Verbundenheit | Sorge für soziale Interaktionen, in Lerngruppen, gegenseitigem Feedback, Wettbewerben – oder gar von den Schülern gestalteten Lerneinheiten. |
Neugier & Überraschung | Baue Zufalls-Elemente ein (Lose, Würfeln) und platziere ein Geheimnis oder eine Überraschung, die im Laufe der Lerneinheit aufgelöst wird. Ich habe auf meiner Webseite zum Beispiel Zufalls-Generatoren für Blog-Artikel oder für Systemische Fragen eingebaut. |
Vermeidung | Keine Gewalt, aber: Nenne zum Beispiel Gefahren & mögliche Strafen und gib Regeln vor, um diesen auszuweichen. |
Eigentum | Verteile Sachpreise oder Gegenstände, die fürs Lernen benutzt werden können. Auch besondere Lerngegenstände können motivieren, zum Beispiel Geodreieck, oder Taschenrechner mit Namensgravur. |
Seltenheit | Manche Objekte gibt es nur selten, als Belohnung oder zu besonderen Anlässen. Ebenso die höchsten Auszeichnungen (gute Noten, Preise). |
Entwicklung & Leistung | Gib Feedback auf die Entwicklung. Mache Lernen & Erfolg sichtbar. Zum Beispiel, indem die bereits erledigten Aufgaben sichtbar gemacht werden oder die Nähe zum Abschluss eines Lernbereichs. |
Bei der Anwendung von Gamification auf Lernprozesse kann mit Hilfe der 8 Spieltriebe überprüft werden, ob möglichst viel Motivation hervorgekitzelt wird bzw. wo die Motivation noch gesteigert werden kann. Es dient quasi dem Brainstorming. Bei der Konzeption ist dann das III Modell hilfreich, um eine Dramaturgie durch den gesamten Prozess zu legen.
III Experience-based Learning
Experience-Based Learning ist quasi Gamification in eine Lernprozess-Struktur gegossen.
Dies sind die 4 Phasen der Experience-based Learning – Kurve:
- Discovery: Das Thema, die Inhalte und die „Spielregeln“ können entdeckt werden.
- Onboarding: Die Teilnehmer überschreiten eine Schwelle in die Welt dieser Lernreise und sammeln erste Erfolgserlebnisse, während sie immer tiefer in den Lernprozess eintauchen.
- Scaffolding: Am Anfang gibt es viel Unterstützung beim Lösen von Problemen und Bewältigen von Aufgaben – mit der Zeit lernen sie, ihr eigenes Kompetenzgerüst zu benutzen und brauchen immer weniger Hilfe.
- Endgame: Teste deine Kompetenz an einer würdigen Abschlussprüfung.
Sie ist angelehnt an die Heldenreise nach Joseph Campbell. Dies ist die Kurve für erfahrungsbasierte Lernprozesse:
Im folgenden liste ich Taktiken und Ideen auf, um die 4 Phasen richtig auszuspielen.
1. Entdecken: Workshopinhalte kennenlernen mit Gamification
Ziel: Erregung von Aufmerksamkeit und ein Gefühl von Vertrautheit
- Cooler Teaser: das Erlebnis in kurz
- Was krieg ich hier?
- Was verpasse ich, wenn ich den Kurs nicht mache?
- Warum passe ich hierher?
- Social Proof: Wer benutzt diesen Kurs noch?
Typisches Storytelling:
- Wow, ein seltenes Angebot
- Wow, ein beinahe mystisches Geheimnis, welches ich hier entdecke
- Wow, spannende andere Menschen
2. Onboarding-Strategien
So lässt du deine Lernenden richtig in deinem Lernprozess landen:
- Schritt-für-Schritt-Anleitung für den Kurs
- Empowerment, Story weiter erzählen
- Schnelle Belohnungserlebnisse: Lass den Nutzer sich stark und schlau fühlen!
- Einen kleinen Schritt erfolgreich abschließen,
- sehr einfaches Quiz,
- Glowing Choice (markanter Button, Bild zum Anklicken)
- Identität anpassen (Avatar, Rolle für den Kurs…)
- Bestätigung & Anerkennung geben, Selbstwirksamkeit für den Nutzer ermöglichen
- dann langsam den Anspruch steigern…
- Seltenheit kennenlernen… was gibt es hier ungewöhnliches zu holen?
- …und welche Transaktionen & Leistung muss ich dafür aufbringen?
3. Scaffolding: Kompetenzgerüst aufbauen im Lernprozess mit Gamification
- Je mehr ich als Nutzer reinstecke, desto mehr erhalte ich zurück
- Ressourcen aufbauen und Belohnungen sammeln
- den Fortschritt zum Ziel immer vor Augen haben
- Schwierigkeit weiter steigern
- Kreativität, strategischen Denken und Rätsel lösen
- Meilensteine erschließen
- Punkte sammeln …. und Punkte tauschen
- Interaktion – andere sollen meinen Fortschritt erleben
- ein wichtiges Puzzle lösen, welches im Laufe des Kurses immer wieder auftauchte oder angedeutet wurde…
- einen Meilenstein erreichen, den ich nur mit Hilfe von anderen Personen erreichen kann
- Zwangs-Pause einlegen… “Warte nun 3 Stunden, ehe du folgendes nächstes Ziel erreichen kannst”
- Easter Eggs einbauen
- Zufall nutzen, Zufalls-Challenge, “Lotterie”, Würfeln, Glücksrad etc.
- weitere einzigartige Möglichkeit aufzeigen, nur für Nutzer, die es bis hierhin geschafft haben
4. Endgame eines Lernprozesses gamifizieren
- Ultimatives Puzzle / Quiz
- eigene / persönliche Herausforderung bewältigen
- Kreativität einfordern
- Nutzer kann sein bestes geben, alle Ressourcen aktivieren, um ein schwieriges Problem zu lösen
- finaler Wettkampf mit anderen Nutzern
Danach:
- Bestaunen der erreichten Meilensteine,
- Lust auf Optimierung machen
- Angebote, wie der Nutzer weiter machen kann
Argumente für Gamification beim Lernen
Beim Spielen erfahren wir Selbstwirksamkeit: wir tun etwas und erfahren schnell Feedback und eine Wirkung unseres Handelns. Das macht einfach mehr Spaß als im Dunkeln zu tappen. Im besten Fall übertragen wir das Erlebnis von Selbstwirksamkeit auf den Lernprozess.
Weitere Vorteile, wenn Gamification auf Lernen angewandt wird.
- Aktivierung der Lernenden und Freisetzen von Energie, dadurch:
- Stärkeres Einprägen von Wissen und Kompetenzen –> Nachhaltigeres Lernen
- Feedback gibt Orientierung und Sicherheit: Wo stehe ich? Was kann ich schon? Was kann ich noch lernen?
- Nutzen von sozialen Trieben für den Lernprozess
- Eine gut durchdachte Spielstruktur sollte Klarheit im Ablauf erzwingen
Gamification im Unterricht funktioniert:
Evidenz durch Lernforschung & Hattie
Die Hattie-Studie [1] fand in einer großen Meta-Analyse von Lernstudien u.a. folgende Erfolgsfaktoren für Lernen in der Schule, die einen Bezug zu Gamification haben.
Faktor | Effektgröße (Hattie) | Wahrscheinlichkeit Leistungszuwachs | Bezug zu Gamification |
Cognitive Task Analysis | 1,29 | 82% | Stark strukturierte kognitive Analyse- & Entscheidungsprozesse lassen sich besonders gut durch gamifizierte Lernwege abbilden. |
Scaffolding | 0,82 | 71% | Ein Lerngerüst ist ähnlich einer Spielanleitung und repräsentiert ein gut durchdachtes Lernsystem. |
Tiefe Motivation (Deep Motivation) | 0,69 | 69% | Durch Aufzeigen des größeren Sinns und Bezug zur intrinsischen Motivation entsteht ein größerer Drive. Siehe Selbstbestimmungstheorie. |
Feedback | 0,70 | 69% | Gamification nutzt Feedback-Schleifen, um den Fortschritt sichtbar zu machen und soziale Interaktion zu erhöhen. |
Konzentriertes Üben | 0,79 | 70% | Gamification des Unterrichts zielt auf die intensivierte Verarbeitung des Lernstoffs und stark-portionierte Übungs-„Runden“. |
Problemlösender Unterricht | 0,68 | 68% | Probleme lassen sich gut als Quests darstellen, portionieren, bepunkten und in den Gesamtforschritt eines Spiels einbauen. |
Kooperatives Lernen | 0,40 | 61% | Lernphasen werden abwechslungsreicher durch Interaktion – ein zentrales Spiel-Element. |
Ausgangskompetenz | 0,94 | 75% | Gamification versucht stets die Aufgaben zu präsentieren, die mit dem bisherigen Wissensstand gerade noch lösbar sind und steigert den Anspruch. Siehe Flow. |
Leistungsschätzung durch Lehrer | 1,29 | 82% | Lernen sichtbar machen – Gamification macht Fortschritt sichtbar. |
Gamification in der Schule: Kritik und Möglichkeiten
Wusstest du’s?
Alle Schulen benutzen Gamification, ohne es zu wissen oder so zu nennen: Noten, Wettbewerbe, Klassenstufen, soziale Lernformate sind bereits typische Spiel-Elemente – leider auch mit destruktiver Wirkung. Denn leider sorgt der bürokratische Schulapparat für Irrwege: In der Realität leiden viele Menschen unter Noten, Sitzenbleiben kann zur demütigenden Qual werden.
Nach der Gamification-Brille sollten Noten einfach Feedback sein und fördern im besten Fall einen gesunden Wettbewerb und spornen an. Klassenstufen stellen den Fortschritt im „Lernspiel Schule“ dar (mehr zur Kritik am Schulsystem).
Wie also kann Lernen in Schule – oder auch in Trainings und der Erwachsenenbildung – richtig gelingen?
Wie können wir mit Gamification Lernen zur Erfolgsgeschichte machen?
Ich hoffe, dieser Artikel konnte dir dafür Anregungen geben.
In meinen Online-Kursen kannst du nachvollziehen, wie ich diese Elemente für Lernprozesse nutze.
Hier habe ich noch einen persönlichen Erfahrungsbericht für ein erfolgreiches Beispiel von radikaler Gamification in der Schule aufgeschrieben.
Quellen
[1] Hattie, John (2009): Visible Learning. A synthesis of ov
er 800 meta-analyses relating to achievement. London.
[2] Robert Coe: It’s the Effect Size, Stupid What effect size is and why it is important
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Scaffolding