Spannungsbasiertes Arbeiten

Spannungsbasiertes Arbeiten ist ein Ansatz für Selbstorganisation im Team, insbesondere für New Work Arbeitskulturen. Im Gegensatz zu etablierten Formaten wie Soziokratie oder Holokratie hat die Spannungsbasierung den Vorteil, dass in ihr ein wichtiges Koordinations-Prinzip verankert ist: die aktuellen Spannungen geben vor, worüber geredet, entschieden und woran gearbeitet wird. Dadurch gibt es wenig Ablenkung durch etwaige Dogmen, was „Trendkultur XY“ ausmacht. Spannungsbasiertes Arbeiten lässt sich besonders gut operationalisieren, da – anhand einer Spannung – sich daraus Klarheit ergibt, was wichtig ist – nämlich jede Spannung, auch wenn ein Resultat sein mag, dass die dahinterliegenden Gründe nicht gelöst, sondern nur ausgehalten werden können.

Der Begriff Spannung erscheint zunächst ziemlich schwammig und braucht für die sinnvolle Verwendung einiges an Erfahrung. Spannungsbasiertes Arbeiten lässt sich gut handhaben als Kombination aus Soziokratie und Gewaltfreier Kommunikation.

 

Definition Spannung

Jeglicher subjektive Anlass für eine Veränderung ist eine Spannung.

Typische Spannungen im Arbeits- und Organisationskontext sind zum Beispiel:

  • Unklarheiten
  • Unzufriedenheit
  • Probleme
  • Verbesserungsideen
  • Zwischenmenschliche Verletzungen
  • Der Wunsch, einer anderen Person etwas mitzuteilen
  • Ärger über eine andere Person
  • Konflikt
  • Herausforderungen
  • „Wo der Schuh drückt“
  • Chancen

Das Spannungsbasierte Arbeiten bedeutet die Einladung an die Teammitglieder, Verantwortung zu übernehmen und Unklarheiten oder Unzufriedenheit nicht einfach hinzunehmen, rumliegen zu lassen – und damit letztlich Potenzial unerfüllt zu lassen, sondern es pro-aktiv anzusprechen.

Auf eine Spannung sollte stets ein nächster Schritt folgen:

SPANNUNG –> VORSCHLAG für einen nächsten Schritt

Oft wissen diejenigen, die die Spannung aufbringen, aber selbst nicht, was sie damit nun tun sollten, daher ist eine geschulte Moderation sehr hilfreich. Typischer Weise geht es um eine der folgenden 6 Möglichkeiten:

6 Funktionen einer Spannung

Meistens geht es um eine der folgenden Prozesse hinter einer Spannung im Team:

  • etwas mitteilen
  • etwas mitgeteilt bekommen
  • um eine Aktion bitten
  • ein neues Projekt initiieren
  • eine Entscheidung anregen
  • eine strukturelle Änderung vorschlagen

Das spannungsbasierte Arbeiten damit eine operationale Grundlage von New Work, Soziokratie, Holokratie und Agiler Organisationsentwicklung.

Voraussetzungen für Spannungsbasiertes Arbeiten

Es ist viel leichter als getan, spannungsbasiertes Arbeiten umzusetzen, da es sehr hohe Anforderungen an die Kommunikationsfähigkeiten der Beteiligten stellt:

  • Wahrnehmung: sich der eigenen Spannungen bewusst zu sein, zum Beispiel in Form von Gefühle, Wünsche und Bedürfnisse (siehe GFK)
  • Vertrauensvolle Atmosphäre, in der sich die Beteiligten ausreichend emotional sicher fühlen,
  • Verbalisierung: die eigenen Gefühle, Wünsche, Bedürfnisse ausdrücken können,
  • Adressaten-gerechte Formulierung: die eigene Verbalisierung anpassen, sodass das Gegenüber sie nachvollziehen kann. Ist eine Person von der Spannung emotional betroffen, ist es umso schwieriger, sie
  • Meins, Deins, Unseres? Einordnen können, welche Spannungen in den Gruppenraum gehören und welche persönlich sind und besser in einem persönlichen Rahmen gelöst werden (Stressregulation, an sich selbst arbeiten, Selbstklärung)
  • Methoden, um die Spannungen zu integrieren (Feedback, Entscheidungen, Konfliktlösung, Rollen entwickeln, Verantwortlichkeiten verteilen, Projekt erstellen, Organisationsstrukturen verbessern)
  • Offenheit gegenüber Feedback und Veränderung: die Ergebnisse der Spannungen lösen Veränderungsprozesse aus, auf der Kultur- und Organisationsebene, welche oft für Widerstände sorgen (siehe »Veränderung gestalten« und »Kognitive Verzerrungen«.
  • Kapazität: all die obigen Punkte erfordern einen hohen persönlichen, kommunikativen Aufwand – zusammen mit genug Zeit

Um diese Hürden zu überwinden, ist es wichtig, dass die Teammitglieder ein gemeinsames Verständnis haben, Schulungen und Unterstützung in der Moderation erhalten und eine Kultur des Vertrauens, der Offenheit und des Lernens gefördert wird. Die Führungskräfte spielen eine entscheidende Rolle bei der Schaffung einer Umgebung, in der spannungsbasiertes Arbeiten gedeihen kann – evtl. mit dem Resultat, dass eine Führungshierarchie abgeschafft wird oder neue Anforderungen an sie gesetzt werden.

Spannung als Potenzialdifferenz: Physikalische Erklärung

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Creative Commons Grafik von universaldenker.org

Physikalisch gesehen ist eine Spannung eine Potentialdifferenz, z.B. in Form von räumlich getrennten positiven und negativen Ladungen. Die Ladungen versuchen, sich einen Weg zu bahnen, um diese Spannung aufzulösen und nehmen jeglichen Weg, den sie finden können. Grundsätzlich nehmen sie den Weg des geringsten Widerstands. Wenn es keinen einfachen Weg gibt, nehmen sie auch gänzlich labyrinthische Wege… was auch immer funktioniert, um die Ladungsdifferenz zu überwinden. Wenn die Spannung sehr groß ist, und der Weg eher kompliziert, kann sich auch mal ein Blitz entladen und einfach den Weg dazwischen durchschlagen – dies gibt es auch in Gruppen, wenn sich ein Konflikt ruckartig zu entladen versucht.

Metapher: In Bezug auf das spannungsbasierte Arbeiten könnte man metaphorisch sagen, dass die Spannungen im Team oder in der Organisation eine Art „Potentialdifferenz“ darstellen. Diese Spannungen zeigen an, dass es einen Unterschied zwischen der aktuellen Situation und dem gewünschten Zustand gibt, der angegangen werden sollte, um das volle Potenzial des Teams oder der Organisation auszuschöpfen.

Gibt es eine neurobiologische Grundlage für spannungsbasiertes Arbeiten?

Wenn ein Neuron stimuliert wird, kann es ein Aktionspotential erzeugen. Das Aktionspotential ist eine kurzzeitige Veränderung des elektrischen Potenzials, die entlang des Neurons weitergeleitet wird. Das Aktionspotential ermöglicht die Weiterleitung von Informationen und Signalen durch das Nervensystem.

Die elektrischen Spannungen, die im Nervensystem auftreten, sind also eng mit der Aktivität und Kommunikation der Neuronen verbunden. Sie spielen eine entscheidende Rolle bei der Übertragung von Informationen, der Koordination von Bewegungen, der Wahrnehmung von Sinnesreizen und vielen anderen neurologischen Prozessen im Körper.

Damit lösen die elektrischen Spannungen auch die Impulse zum Handeln und Verändern aus, die dann eine Gruppe und Organisation stimulieren.

Konkrete Methoden und Prozesse im Spannungsbasiertem Arbeiten

Quellen