Auch Schulen verändern sich: sie wachsen, schrumpfen, werden neu gegründet und brauchen Führung durch den Veränderungsprozess. Design Thinking ist eine Methode für Innovation – und damit für die Gestaltung von Kultur, Zusammenarbeit und Veränderung.
Warum verändert sich Schule? Ganz einfach: ie Gesellschaft, die Menschen, die Eltern und junge Lehrer verändern Schule, ebenso technologische Trends und ökologische Probleme. Design Thinking kann Schulentwicklung unterstützen. Statt Anhaften im Konflikt oder in der Vergangenheit bietet uns Design Thinking einen Prozess, der die Menschen (Schüler, Lehrer und Eltern) ins Zentrum der Entwicklung rückt – sodass alle an einem Prozessstrang ziehen können.
Bildungseinrichtungen entscheiden, wie in 2 Generationen unsere Gesellschaft aussieht und gelenkt wird. Denn wer im Jahr 2020 Abitur macht, sitzt eventuell 30 Jahre später im Bundestag [1] und nimmt direkt oder indirekt Einfluss auf die Geschicke der Welt. Und mit jedem neuen gesellschaftlichen, politischen Trend entsteht ein neuer Anspruch an Schulen und Bildungseinrichtungen.
Typische Themen für die Schulentwicklung
- Kompetenzentwicklung der Schülerinnen und Schüler – Was wollen wir Kindern und Jugendlichen mitgeben? Welche Herausforderungen sollen sie bewältigen können? Welche Menschen braucht unsere Gesellschaft heute, morgen und übermorgen? Damit auch:
- Guter Unterricht – die Kerntätigkeit von Bildung. 45 Minuten können erleuchten oder traumatisieren – Wie können sie sinnvoll genutzt werden?
- Classroom Management – wie entsteht ein friedliches, herzliches und konzentriertes Miteinander im Klassenzimmer? Wie können Störungen, Ablenkungen und Regelverstöße integriert werden?
- Lehrerqualifizierung – Welche Kompetenzen sollen Lehrerinnen und Lehrer heute haben, um Schülerinnen und Schüler gut auf die Herausforderungen des Erwachsenenlebens vorzubereiten?
- Digitalisierung – Wie nutzen wir digitale Medien & Tools, um
- Schülerinnen für das 21. Jahrhundert fit zu halten?
- uns den Alltag zu vereinfachen?
- Herr unserer Daten zu bleiben?
- unternehmerisch aktiv zu werden?
- Nachhaltigkeit – Klimawandel wird die nächsten Generationen noch stärker betreffen als die jetzige. Wie kann die Schule Vorbild sein, Kompetenz und Verantwortung vermitteln?
- Teamentwicklung & Community Building – Einfach mal mitmachen, ist nicht schwer, Gemeinschaftsbildung hingegen sehr!
Wie entsteht eine herzliche und starke Gemeinschaft?
- Schulkultur – Wie sieht eine authentische Schulkultur aus? Was sind unsere Werte, unsere Vision und Mission? Wie lösen wir Konflikte und treffen gemeinsam Entscheidungen?
- Vernetzung nach außen: Viele Schulen machen nichts außer unterrichten. Dennoch ist es sehr wertvoll für alle Beteiligten, Bildung zu verbinden mit spannenden Ausflügen, Kooperationen, Wettbewerben. Die Gemeinde, Hochschulen, der Sportverein, Museen, die Kirche… sie alle können wertvolle kulturelle und inspirierende Beiträge bieten, AGs leiten und wollen oft gerne wissen, wer ihre künftigen Mitbürger und Mitarbeiterinnen sind.
Schulentwicklung mit Design Thinking
Wie jede Organisation, wie jedes Unternehmen ist auch Schule ein komplexes Gebilde aus Stakeholdern, Hierarchien, Dynamiken – mit Frustrationen, Konflikten und Herausforderungen auf der einen Seite – und viel Lebensenergie, Ressourcen und Kreativität auf der anderen Seite – und damit ein hervorragendes Anwendungsfeld für Design Thinking.
Der Design Thinking Prozess
Das folgende Schaubild zeigt mit durch die 6 Kreise die 6 Phasen des Design Thinking – Prozesses, unterteilt in Problemraum (erste drei Phasen) und Lösungsraum (4. – 6. Phase):
Die Strukturierung soll helfen, ein diverses Team für den Innovations- und Veränderungsprozess zu koordinieren, sodass jeder weiß, an welcher Stelle des Prozesses das Team gerade steht. Wie sieht das aus, wenn wir es auf Schulentwicklung anwenden?
Anleitung: Schulentwicklung mit Design Thinking
- Verstehe das betroffene schulische System in nötiger Tiefe:
- Schulgesetz,
- Entwicklungspsychologie von Kindern und Jugendlichen,
- Gruppendynamik,
- Analyse der Stakeholder (siehe Stakeholder Map),
- Lernforschung, z.B. Hattie-Studie: sichere Beziehungen, Klarheit, Feedback und Selbstwirksamkeits-Erlebnisse helfen dem Lernprozesss, siehe unten.
- Organisationsstrukturen der Schule.
- Einfühlen in die wichtigsten Akteure und deren Bedürfnisse, Leiden, Konflikte, Inspirationen und Hoffnungen. Je feiner das Verständnis auf der emotionalen Ebene, desto klarer die Möglichkeiten für Innovation: denn ungelöste menschliche Bedürfnisse bieten stets Raum für Innovation. Dies führt uns direkt zu Schritt 3:
- Aufdecken von Innovations-Räumen: Wo können wir besonders viel ungenutztes Potenzial entfalten? Wie können wir uns bestmöglich auf die Zukunft vorbereiten? Wie kann frischer Wind in die Bude kommen?
In der Synthese wird der „Knackpunkt“ definiert: für wen können wir das Leben besser machen und daher etwas neues erfinden? Ansatz: Nutze Reframing, um den passenden Innovationsraum aufzuspannen. - Ideenentwicklung: wenn ungelöste Bedürfnisse und vorhandene Konflikte und Spannungen gefunden wurden, kommen neue Ideen und Strategien fast von alleine. Mit Hilfe von Kreativitätstechniken, Frage- und Kommunikationstechniken und Brainstorming wird ein möglichst größer Möglichkeitsraum aufgespannt.
- Prototyping macht Ideen greifbar und konkret, sodass damit weitergearbeitet werden kann.
- Testen: Nun beginnt die Arbeit mit der Realität. Teste deine Ideen und Prototypen, indem du sie im Alltag einsetzt, anderen zeigst und präsentierst, um Feedback bittest.
Perfektion durch Iteration: Der Browser, indem dieser Text geschrieben wurde, hat die Version 92.0.4515.131 – was auch immer das genau heißt, jedenfalls gab es unzählige Überarbeitungen und Verbesserungen der Software bis zur aktuellen Funktionalität. Genauso werden Gesetzbücher jedes Jahr aktualisiert und überarbeitet – und so kann auch eure Schule sich weiterentwickeln.
Was heißt das für Schulentwicklung? Nun, dass wir nie fertig sind. Egal ob es um das Leitbild geht, die Regeln für die Handynutzung, die Teamkultur, die Schülerzeitung oder die pädagogischen Leitlinien: wenn sich die Welt rundherum verändert und wir Feedback bekommen auf die Ideen und Pläne, dann folgt im nächsten Schritt die Verbesserung, Überarbeitung und Optimierung der Prototypen und Konzepte. So entsteht mit der Zeit ein Kunstwerk… eure Schule als wirklich lebendiger und lernenswerter Organismus.
Beispiel-Formulierungen für Herausforderungen der Schulentwicklung mit Design Thinking
Ich habe schon ein paar Schulentwicklungsprozesse begleitet. Am häufigsten ging es um das Leitbild, um Koordination in Teams, eine gute Verknüpfung aus digitalem und analogem Lernen, Berufsorientierung,
- Wie kann ein Leitbild aussehen, welches uns im Alltag Inspiration und Orientierung gibt und uns stärkt in den schwierigen Situationen in der Schule?
- Wie kombinieren wir digitales & analoges Lernen und nutzen das Internet sinnvoll?
- Wie werden Schüler und Eltern in Entscheidungsprozesse involviert?
- Wie gestalten wir einen Schulgarten für alle?
- Wie können arme und reiche Kinder auf Augenhöhe miteinander lernen?
- Wie gestalten wir einen Ganztagsbetrieb, indem Erzieher und Lehrer für das Wohl der Kinder kooperieren?
- Wie kann lebenslanges Lernen auch für Lehrer funktionieren?
- Gewalt- und Extremismusprävention, Umgang mit Diskriminerung, fachübergreifendes Arbeiten, Förderung von sozialen Kompetenzen, 21st Century Skills, Aufzeigen von Berufsperspektiven…
Einordnung: Design Thinking als Form agiler Schulentwicklung
Definition: Agilität ist die iterative, nutzer-zentrierte und zielgerichtete Entwicklung eines Systems.
Design Thinking ist eine agile Innovationsmethode, die sich nicht nur auf Produkte oder Software sondern auch auf Kultur (Rituale, Werte, Leitbilder), Management-Systeme und Pädagogik anwenden lässt.
Die 3 agilen Prinzipien (Iteration, Nutzer-Zentrierung, Zielorientierung) sind in jedem Fall hilfreich für die Weiterentwicklung von Organisationen und Schulen und deren Sub-Systemen. Da in der Realität ein ausführlicher Design Thinking Prozess etwas aufwendig sein kann, ist dennoch in jedem Fall ein agiler Prozess sinnvoll für Schulentwicklung. Verkürzt könnte man sagen, dass dann die Schritte einer Iteration bestehen aus:
- Herausforderung definieren (»einrahmen« zum Beispiel in Form einer WM-Frage oder eines SMART-Goals)
- Umsetzungs-Schritte (»Sprint«)
- Ergebnis herbeiführen und konkretisieren.
Der Agile Prozess bettet sich ein in einen strategischen Entwicklungsprozess hin zu einem Zielzustand (»Vision«), konkretisiert durch Meilensteine auf dem Weg zum Zielzustand. Nach einem erreichten Meilenstein erfolgt eine Reflexion, um den weiteren Prozess anzupassen.
Methoden zur Konkretisierung der Strategie sind zum Beispiel:
- Klassisches Projektmanagement
- Klassische strategische Planung nach Vision, Mission, Meilensteinen, Werten
- Visionspyramide, bestehend aus Vision, Erfolgsprinzipien, Kompetenzen & Ritualen
- Objectives & Key Results
Design Thinking Kompetenzmodell
Design Thinking umfasst nicht nur die Methode im Sinne der obigen fünf Schritte, sondern auch ein Kompetenz- und Kulturpaket. Die Kultur wird oft beschrieben durch Prinzipien wie »Fail early & often« oder »Stelle Bewertungen von Ideen und Menschen zurück« oder »Baue auf den Ideen anderer auf«. Diese Kultur wird wiederum ermöglicht durch die Kompetenzen – schauen wir sie uns dafür genauer an: Ich unterteile Design Thinking in drei Kompetenzpakete, wie im folgendem Schaubild dargestellt:
- Kreativität (und dafür persönliches kreatives Selbstvertrauen)
- Beziehungskompetenz (vor allem durch Empathie)
- Agilität für eine hohe Anpassungsfähigkeit des Prozesses und des Teams
Das Wechselspiel dieser drei Kompetenzpakete (Kreativität, Empathie und Agilität) ergibt eine hohe Design Thinking Kompetenz. Der Design Thinking Prozess strukturiert letztlich den Einsatz dieser wertvollen Kompetenzen in einer heterogenen Gruppe, welche anderenfalls der Gefahr von Chaos unterliegt. Design Thinking ist damit ein sehr wertvolles Kompetenzpaket für unsere heutige Zeit und entspricht den 21st Century Skills der OECD [2], welche meist gebündelt werden unter den »4 Ks« Kreativität, Kollaboration, Kommunikation, Kritisches Denken.
Warum Design Thinking für Schulentwicklung?
Ich nähere mich der Begründung von Design Thinking für Schulentwicklung einmal über eine deduktive, theoretische Herleitung und einmal über empirische Studien aus der Lern-, Erfolgs- und Organisationsforschung.
Theoretische Begründung für Design Thinking
Design Thinking wurde entwickelt, um komplexe ergebnisoffene Gestaltungsprobleme für menschliche Systeme zu lösen. Schulentwicklung ist ein komplexes, ergebnisoffener Problem eines menschliches Systems (Schule). Ergo, Design Thinking ist eine passende Methode für Schulentwicklung.
Dies kann näher erläutert werden mit der Stacey-Matrix: durch die Heterogenität der Interessensgruppe (Schüler, Eltern, Lehrer, Verwaltung, Wirtschaft, Politik) am Schulsystem und durch die Unbekanntheit des Ausgangs eines Veränderungsprozesses, entsteht Komplexität. Durch einen strukturierten Prozess wie Design Thinking wird die Komplexität erträglich (und macht sogar Spaß) und mündet in einen Lösungsansatz, der „nur noch“ kompliziert ist mit konventionellem Projektmanagement lösbar. Eine ähnliche Beschreibung für Komplexität bietet das Akronym der VUCA-Welt für volatility, uncertainty, complexity, ambiguity.
Empirische Begründungen
1. Hattie-Studie
Die Hattie-Studie [3] fand in einer großen Meta-Analyse von Lernstudien u.a. folgende vier Erfolgsfaktoren für Lernen in Schulen:
- Feedback
- Klarheit der Lehrperson
- Beziehungsqualität
- Kreativitätsförderung
Einfluss für Lern- und Entwicklungserfolg | Faktor | Abdeckung durch Design Thinking |
Feedback allgemein 0,73 Selbsteinschätzung 1,44 Lehrern-Lehrer (Micro-Teaching) 0,88 Evaluation 0,9 | 0,73 – 1,44 | Die Evaluation entspricht dem „Testen“ in Design Thinking. Außerdem sorgen die interaktiven Methoden in den einzelnen Schritten für viel Feedback, insbesondere die Empathie-Phase und die Ideen-Phase. |
Klarheit der Lehrperson | 0,75 | Die Klarheit im Schulentwicklungsprozess wird unterstützt durch den mehrschrittigen Design-Thinking Prozess, welcher eine klare Struktur gibt für das Vorgehen in der Schulentwicklung, außerdem gibt konkret der 3. Schritt im Design Thinking, die Synthese, einen klaren Rahmen für die Ausgestaltung. |
Lehrer-Schüler-Beziehung | 0,72 | In der 2. Design Thinking Phase, der Empathie-Phase, wird eine Beziehungsebene gefördert durch das aktive und erforschende Zuhören, welches Emotionen und Bedürfnisse aufdeckt. |
Kreativitätsförderung Problemlösen 0,61 | 0,65 | Der zweite Teil des Design Thinking Prozesses konzentriert sich ganz auf die Entfaltung der Kreativität durch Reframing, Brainstorming und Prototyping. |
Zur Erklärung: die Hattie-Studie hat insgesamt 252 Einflussgrößen gewertet, der durchschnittliche Effekt lag bei 0,4. Alle Faktoren stärker als 0,4 gelten damit als besonders wirksam.
Zum Vergleich: schulunabhängige Faktoren wie der sozioökonomischer Status (0,57) erwiesen sich als deutlich ausschlaggebender als viele allgemeine Schulfaktoren (Hausaufgaben 0,29, Inklusion 0,29, Klassengröße 0,21).
2. Googles Aristoteles Studie
Die umfassendste Studie [4] über Teamerfolg wurde von Google erhoben über 115 Softwareentwicklungs-Teams und 65 Sales Teams und wertete 5 entscheidende Faktoren für Teamerfolg aus:
- Emotionale Sicherheit – sich sicher genug fühlen, Risiken einzuschätzen und sich gegenseitig zu öffnen für Ideen und Sorgen
- Zuverlässigkeit – Aufgaben werden fristgerecht erledigt
- Struktur & Klarheit – klare Rollen, Pläne & Ziele
- Überzeugung – die Arbeit ist persönlich relevant
- Sinn – einen höheren Wert in der eigenen Arbeit sehen
Design Thinking schafft über die Empathiephase emotionale Sicherheit (1), sorgt für eine klare Prozessstruktur (2), und orientiert die Arbeit an einem Nutzen für andere Menschen (5) sowie den Stärken der Teammitglieder (4) — nur Zuverlässigkeit müssen die Personen selbst mitbringen.
3. Harvard Grant Study
Die Harvard Grant Study ist die größte Langzeitstudie über sozialen Erfolg und zeigt, dass die Beziehungswärme ausschlaggebend ist für finanziellen, sozialen und gesundheitlichen Erfolg im Leben [5].
Zusammenfassung: Design Thinking für Schulentwicklung
Schulentwicklung ist eine komplexe Herausforderung, die das menschliche System »Schule« betrifft. Design Thinking ist eine Methode zur Lösung komplexer, menschlicher Probleme und damit ein passender Ansatz für Schulentwicklung. Dies funktioniert, indem Design Thinking eine Prozessstruktur bietet, die auch in heterogenen Teams eine klare Orientierung bietet und damit Reibung und Konflikt vorbeugt. Laut der empirischen Forschung kommt dabei der Beziehungsarbeit eine besondere Bedeutung zu sowie der Raum für unkonventionelle Ideen.
Quellen:
[1] Statistik des Bundestags
[2] Fadel, Charles. „21st Century Skills: How can you prepare students for the new Global Economy.“ Retrieved February 20 (2008): 2018.
[3] Hattie, John. Visible Learning. Abingdon, Oxon: Routledge. 2008.
[4] Link to Google Project Aristotle with Sub-Links on Verlässlichkeit und Sinnhaftigkeit
[5] Vaillant, George E. „Triumphs of experience.“ Triumphs of Experience. Harvard University Press, 2012.