Mit der Self-Determination Theory (SDT) oder Selbstbestimmungstheorie lässt sich Motivation analysieren: den Antrieb bilden menschliche Grundbedürfnisse. Die Theorie wurde von Richard M. Ryan und Edward L. Deci entwickelt und gilt neben der Maslow’schen Bedürfnispyramide und Grawes Grundbedürfnissen als aktuell erfolgreichste Motivationstheorie. Ryan & Deci besagen in ihrer Theorie, dass folgende Grundbedürfnisse des Menschen ihr Verhalten bestimmen:
- Kompetenz (Selbstwirksamkeit): Der Mensch möchte so handeln und sich so verhalten, dass für ihn und sein Umfeld seine Selbstwirksamkeit bewusst erlebt wird.
- soziale Eingebundenheit: Ihr Verhalten möchte die Person gerne in einem sozialen Kontext erleben.
In einer Gruppe erfährt die Person Anerkennung, Zugehörigkeit und Verbundenheit. - Autonomie: das eigene Handeln selbst steuern zu können, innerhalb eines passenden Rahmens: Was, Wie lange, Wie nicht, mit wem. Das bedeutet Freiheit von Einschränkungen, Bevormundung, Übergriffigkeit.
Je nach Befriedigung dieser drei Grundbedürfnisse wird die Motivation des Menschen für ein bestimmtes Verhalten positiv oder negativ beeinflusst. Die Ausprägung und Präsenz der drei Bedürfnisse äußern sich an bestimmten Parametern des menschlichen Handelns. Die Bedeutung der eigenen Kreativität, das Durchhaltevermögen und das gezielte Problemlöseverhalten zeigen das Maß der Befriedigung auf. In diesem Maße wird auch das allgemeine Wohlbefinden beeinflusst.
Mangelt es an der Befriedigung der drei Grundbedürfnisse, werden wir zunehmend frustriert. Dies führt dazu, dass wir keine Lust mehr haben diesem Verhalten weiter nachzugehen. Die Folgen sind weitreichend: Verhaltensänderungen, Antriebslosigkeit oder Entwicklung von (meist negativ behafteten) Ersatzbedürfnissen.
Herleitung der SDT-Bedürfnisse
Basale biologische Bedürfnisse aller Lebewesen sind:
- Überleben, Stoffwechsel,
- Bei Tieren: Essen, Trinken,
- Ruhen, Schlafen & Regeneration
- Fortpflanzung
Um die basalen Bedürfnisse auch langfristig gut zu erfüllen, lohnt es sich langfristig etwas mehr Ressourcen aufzubauen als zum akuten Überleben notwendig. Indem wir also uns langfristig gut mit Ressourcen vorbereiten, erfährt der Organismus die Erfüllung höherer Bedürfnisse:
- Sicherheit
- Möglichkeit zum Tausch, Handel,
- Wertschätzung für soziales Verhalten und dadurch wiederum Sicherheit,
- Soziale Anerkennung & Status: dadurch erhöhte Chance auf Fortpflanzung & bessere Verhandlungsposition
- Entspannung,
- Selbstregulation der Gefühle, Gedanken & körperlichen Signale,
- Kreativität im Finden neuer Möglichkeiten für Ressourcen-Entwicklung und Lösen sozialer Spannungen.
- Bildung ist ein Zwischenzweck, der die zukünftigen Möglichkeiten und Fähigkeiten zur Ressourcen-Entwicklung und Sicherung der basalen und höheren Bedürfnisse optimiert
Die 3 SDT-Bedürfnisse ergeben sich nun als 3 besonders zentrale Bedürfnisse in der langfristigen Existenzsicherung mit sozialem Bezug. Sie sind Kombinationen der höheren Bedürfnisse:
- Kompetenz bezeichnet Fähigkeiten, zukünftig erfolgreich Ressourcen zur Bedürfniserfüllung sammeln zu können
- Verbundenheit bezeichnet die Eingebundenheit in einen sozialen Rahmen, in dem durch Kooperation die Ressourcen-Beschaffung erfolgen kann
- Autonomie ist eng verknüpft mit Kompetenz / Selbstwirksamkeit, jedoch etwas basaler, da es vor allem der individuellen, selbstregulierten Bedürfniserfüllung dient
Gefahr: Korrumpierungseffekt
Dominieren die extrinsischen Motive und Belohnungen, droht Sucht, Frustration oder gar komplette Ablehnung einer Tätigkeit, die ursprünglich im Sinne der Nutzer gewesen wäre. Dies ist der Korrumpierungseffekt.
Beispiele für den Korrumpierungseffekt:
- schlechte Noten frustieren den Lernprozess,
- gute Noten werden als wichtiger wahrgenommen als das eigentliche Lernen
- wird altruistisches Handeln finanziell belohnt, wird später das sinnvolle Verhalten wieder unterlassen, wenn die finanzielle Belohnung nicht mehr gegeben wird
- wird ein Kind für einen Ausflug in die Natur mit einem Eis am Ende gelockt, fragt es die ganze Zeit nach dem Eis und hat vielleicht beim nächsten mal keine Lust mehr zu wandern, wenn es kein Eis gibt
Intrinsische vs. extrinsische Motivation
Die Selbstbestimmungstheorie fokussiert sich auf universell menschliche Bedürfnisse, die man aus der Notwendigkeit des Lebens selbst herleiten kann. Die 3 SDT-Bedürfnisse ergeben sich quasi aus der Biologie des Menschen. Dafür unterscheidet die Selbstbestimmungstheorie noch einmal Mini-Theorien, die sich stärker auf extrinsische und intrinsische Motivation beziehen.
Die intrinsische Motivation besteht dann primär darin, die Bedürfnisse des eigenen Organismus zu erfüllen.
Intrinsische Motivation | Extrinsische Motivation |
Intrinsische Motivation folgt den ursprünglichen menschlichen Bedürfnisse, die nach Erfüllung streben. Daraus ergeben sich Motivationen, insbesondere:
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Mini-Theorie ist die Cognitive Evaluation Theory (CET), welche die 3 Bedürfnisse unterscheidet:
Der Prototyp hierfür sind kleine Kinder oder Tiere, die neugierig ihre Umgebung erkunden ohne Anreize von außen. | Mini-Theorie: organismic integration theory (OIT), unterscheidet 4 Formen extrinsischer Motivation:
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Herausforderung:
| Gefahr: Korrumpierungseffekt, das heißt, dass eigentlich intrinsisch sinnvolles Handeln wie Neugier und Lernen abgebrochen wird, wenn keine äußeren Stimuli mehr gesetzt werden. Beispiel: „Mama gab mir immer 2 Euro, wenn ich konzentriert gelernt habe – heute gibt mir keiner mehr Geld, also möchte ich auch nicht mehr lernen“ |
Nutzen der Selbstbestimmungstheorie
Die Selbstbestimmungstheorie nach Ryan & Deci ist insbesondere hilfreich für folgende Gebiete:
- Bildung: Die Motivation von Lernenden kann analysiert und gefördert werden für Lernprozesse in Schule, sowie in Workshops, Seminaren, Trainings und jeglichen Bildungs- und Beratungsangeboten.
- Personalentwicklung: Mitarbeiter fördern, entwickeln, beraten und langfristig für die Organisation binden, dadurch allgemein Organisationsentwicklung / Schulentwicklung
- Marketing: Was bewegt unsere Kunden? Wie können wir ihnen Mehrwert bieten?
- Gemeinschaftsentwicklung / Teamentwicklung: Was brauchen die einzelnen Menschen in unserer Gruppe? Wie können wir ihre Bedürfnisse erfüllen und für die Gruppe nutzen?
Selbstbestimmungstheorie für Schule & Bildung
In der Schule bietet die Selbstbestimmungstheorie ein Analyse-Schema für effektives Lernen: Es ist von großer Bedeutung, dass Kinder in Ihrer Persönlichkeitsentwicklung gestärkt werden. Dies geschieht, indem ihre Grundbedürfnisse befriedigt werden. Wird den Kindern ein Mitbestimmungsrecht bei Lerngebieten oder Aufgabenbereichen eingeräumt, führt dies langfristig zu einer produktiven Lernatmosphäre. In Teams und Gruppenarbeit zum Beispiel können Schüler in ihrem sozialen Umfeld und im Austausch mit Gleichaltrigen lernen. Werden sie angehalten, sich positives Feedback zu geben, weiß ein jeder Schüler um seine Fähigkeiten. So können Schüler Freude am lernen und Interesse an Unterrichtsinhalten entwickeln.
Vergleich: Selbstbestimmungstheorie vs. Grawes Grundbedürfnisse
SDT | Grawe |
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Vergleich: Selbstbestimmungstheorie vs. Flow-Theorie
Die Flow-Theorie von Mihály Csíkszentmihályi beschreibt die Erfahrung, voll und ganz in seinem eigenen Handeln aufzugehen und dieses mit großer Freude zu tun. Bei diesem Prototyp der SDT werden die Grundbedürfnisse des Menschen bestmöglich befriedigt. Wer wünscht sich eine solche Erfahrung nicht? Die Anforderungen einer Aufgabe entsprechen genau den eigenen Fähigkeiten, sodass man Spaß daran hat, den Auftrag konzentriert auszuführen. Die Motivation für diese Aufgabe ist intrinsischer Natur. Wird Flow erfahren, reicht dies allein schon aus, aus eigenem Interesse und Antrieb zu handeln. Darin stimmen SDT und die Flow-Theorie überein.
Aber wie können wir nun Flow und die drei Grundbedürfnisse zusammenbringen, damit die Motivation am Ende da ist und auch erhalten bleibt? Die Kenntnis darüber allein, reicht meist nicht aus…
Tipps für die eigene Motivation im Alltag ganz Sinne des Flows
Werde Dir darüber im Klaren, dass auch Du und dein Gehirn Deine Grundbedürfnisse befriedigt wissen müssen, um motiviert an eine Aufgabe heranzugehen. Mache dir Deine Selbstwirksamkeit, deine Kompetenz, klar, indem Du sie zum Beispiel schriftlich festhältst. Erstelle dir Deine persönliche „Ich-bin-äußerst-kompetent-Liste“ und schreibe nach jeder erfolgreichen Aufgabe auf, welchen Nutzen Sie für Dich und Andere hat. Binde dabei Dein soziales Umfeld mit ein, zum Beispiel indem Du dir Rückmeldung von Kollegen oder Vorgesetzten einholst. „Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied!“ In diesem Sinne: Wähle Deine Tätigkeiten und Aufgaben selbstbestimmt.
Im Flow bist du, wenn Du und Deine Aufgabe eine Einheit bilden. Du konzentrierst Dich nur auf Dein Handeln und wächst an jeder geschafften Aufgabe. Damit dir dein Gehirn ein Flow-Erlebnis ermöglicht, musst Du genaue Aspekte beachten:
- Achte darauf, dass Deine Aufgaben zu Dir passen
- Die Aufgaben müssen Deinen eigenen Fähigkeiten entsprechen
- Vermeide Unter- oder Überforderung
- Lass` Dich nicht ablenken
Selbstbestimmungstheorie in Unternehmen & Organisationen
Auch in Unternehmen ist die Passung der Aufgabe zum Mitarbeiter von immenser Bedeutung. Aufgaben müssen den Fähigkeiten des Mitarbeiters entsprechen. Nur dann kann effektiv gearbeitet werden. Beschäftigte in der Beratung können genau auf diese Bedürfnisse zurückgreifen, um zu einem positiven Verlauf mit ihren Klienten zu gelangen. Die Befriedigung der Grundbedürfnisse spielt bei Mitarbeitern und in der Führung eine große Rolle. Sowohl Chef als auch Angestellter muss autonom in seinem Netzwerk arbeiten können. Daher erfordert die Durchführung der Theorie oftmals ein gewisses Maß an Umdenken.
Quellen:
- Edward L. Deci, & Richard M. Ryan (2008): Self-Determination Theory: A Macrotheory of Human Motivation, Development, and Health. In: Canadian Psychology 49, 182–185.
- Richard M. Ryan, & Edward L. Deci (2000): Self-Determination Theory and the Facilitation of Intrinsic Motivation, Social Development, and Well-Being. In: American Psychologist 55, 68–78.
- Theorie im Internetauftritt von Ryan / Deci nach Selbstbestimmungstheorie
- Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik, Zeitschrift für Pädagogik 39 (1993)