Facilitation-Kompetenz [Train-the-Trainer]

Gruppenprozesse zu leiten ist eine der schönsten und herausforderndsten Aufgaben, die es gibt. Es gibt viele Begriffe dafür, je nach Kontext: unterrichten, Facilitation, Prozessbegleitung, Training, Moderation…

Es macht Spaß, egal auf welchem Level – und hat schon viele Menschen in den Burn-Out getrieben. Es ist eine sehr hohe Kunst, die über viele Lebensjahre, Selbsterfahrung und persönliche Weiterentwicklung verfeinert wird. Es lohnt sich daher, früh in der Karriere damit anzufangen und sich auch dafür gute Mentorinnen, Lehrer und Supervisorinnen zu suchen.

Diese Worte fand dafür der Erfinder der Prozess-Psychologie Arnold Mindell in seinem Buch „Sitting in the Fire“:

Groups: The impossible teachers

Many people are afraid to step forward and facilitate groups. There’s good reason to fear groups; their potential power is enormous. They can create in the facilitator a sense of being dominated, judged or shamed,

In diesem Artikel findest du eine Zusammenfassung meiner eigenen Erfahrungen neben empirischen Ansätzen aus Bildungs- und Therapieforschung.

Kompetenzen für erfolgreiche Trainer, Facilitatoren & Gruppenmoderation

Um menschliche Lern- und Entwicklungsprozesse zu moderieren, sollte der Facilitator einen gesunden und übertragbaren Umgang mit der eigenen Menschlichkeit haben, wenngleich dies in der Realität einen der größten blinden Flecke darstellt. Der Dunning-Kruger-Effekt besagt, dass Menschen im Allgemeinen ihre eigene Kompetenz umso mehr überschätzen, je weniger sie davon haben. Bei Gruppenmoderation gibt es eine umfangreiche Menge von Kompetenzen:

In der Arbeit mit Gruppen zählt eine effektive Kommunikation, ein Set an Moderations- und Interventionstechniken im Gruppenprozess, klare Beziehungsqualität und bei Lernprozessen auch noch die Didaktik für Lerneinheiten:

  1. Beziehungskompetenz:
    1. in Kontakt gehen,
    2. Kontakt halten,
    3. Pacing & Leading
    4. Coaching & Utilisation
  2. Didaktik:
    1. Klares Konzept mit Kernbotschaften, Kompetenzgerüst und sauberen Abgrenzungen
    2. Zielgruppen-gerechte Vermittlung von Wissen & Kompetenzen,
    3. Lernprozesse gestalten, z.B. Design Thinking & Gamification
      (>>mehr dazu im Artikel: Workshop Konzepte erstellen)
  3. Gruppen-Moderation:
    1. Alle im Blick haben können
    2. Redeflüsse strukturieren durch Methoden & Gesprächsformate für Gruppenkommunikation
      (mehr dazu unter Methoden A-Z, Coaching-Methoden und Kreativitätstechniken)
    3. Führungskompetenz, um die Gruppe durch komplexe Entwicklungsprozesse zu begleiten
    4. Visualisierung von Gruppenkommunikation an Whiteboard / Tafel / Flipchart
    5. Konflitklösung und Integration von Störungen / Widerständen in der Gruppe
    6. Gruppendynamik reflektieren
    7. Reflexion und Feedback
  4. Selbstkompetenz:
    1. Selbstregulation
    2. Selbstwahrnehmung
    3. Abgleich Selbst- und Fremdwahrnehmung
    4. Nutzung & Variation von intuitivem (System 1) und analytischem Denken (System 2)
    5. Eigene Persönlichkeitsentwicklung
      (siehe dazu auch: Achtsamkeit, Trauma-Integration, Selbstcoaching, Autogenes Training, inneres Team)
  5. Kommunikation:
    1. aktives Zuhören,
    2. Fragetechniken & Operatoren benutzen
    3. Verbalisieren von Emotionen, Gedanken, Hypothesen, Bedürfnissen und Wünschen (äquivalent zu Gewaltfreier Kommunikation)
    4. Meta-Ebenen der Sprache variieren
    5. Reflexion & Feedback

Selbsteinschätzung: Facilitation & Moderations-Kompetenz

Beispiele für „Ich kann …“ – Formulierungen, um die eigene Facilitation-Kompetenz einzuschätzen.

Ich kann…

  • geduldig auf Rückfragen eingehen, und den Prozess an das Tempo der TN anpassen.
  • eine „Störung“ ansprechen, den TN fragen, was er/sie braucht, um weiterzugehen
  • eine Spannung in einen Vorschlag umwandeln, sodass eine Entscheidung herbeigeführt werden kann
  • die einzelnen, losen Fäden am Ende zusammenfädeln und die angeschnitten Themen abzurunden
  • eine Spannung nutzen für den weiteren Prozess, indem ich das dahinter liegende Thema als Chance aufgreife, daran etwas zu lernen

 

Wissenschaftliche Grundlagen für Facilitation

Komplexe Gruppenprozesse gibt es in verschiedensten Kontexten: Teamprozesse, Lerngruppen in der Schule, in Trainings, Ausbildungen, aber auch in demokratischen gesellschaftlichen Prozessen.

Ich versuche das Thema zurückzuführen auf die am besten erforschten Kontexte: Lernen und Psychotherapie.

Gutes Lernen: Lernerfolg mit Hattie in Seminaren, Schulen, Universitäten

Die Hattie-Studie [1] fand in einer großen Meta-Analyse von Lernstudien u.a. folgende Erfolgsfaktoren für Lernen in Schulen. Diese sind natürlich nicht 1:1 übertragbar für Erwachsenenbildung, aber die grundsätzliche Bedeutung der Faktoren dürfte erhalten bleiben.

Hattie-Studie-Lehrer-Lernerfolg-Faktoren-Rating-Lernen-Trainer-Coaches-Erfolg-Was ist wichtig

  1. Feedback, allgemein 0,73
    der SuS an sich selbst (Selbsteinschätzung) 1,44
    von Lehrern an Lehrer (Micro-Teaching) 0,88
    über den Unterricht (Evalutation) 0,9
  2. Klarheit der Lehrperson 0,75
  3. Lehrer-Schüler-Beziehung 0,72
  4. Kreativitätsförderung 0,65
    Problemlösen 0,61

Zur Erklärung: die Hattie-Studie hat insgesamt 252 Einflussgrößen gewertet, der durchschnittliche Effekt lag bei 0,4. Alle Faktoren stärker als 0,4 gelten damit als besonders wirksam.
Zum Vergleich: schulunabhängige Faktoren wie der sozioökonomischer Status (0,57) erwiesen sich als deutlich ausschlaggebender als viele allgemeine Schulfaktoren (Hausaufgaben 0,29, Inklusion 0,29, Klassengröße 0,21).

Wirkprinzipien von Psychotherapie

Zwar gehen die allerwenigsten Seminare so tief wie eine fundierte Psychotherapie – dennoch ist Psychotherapie besonders gut etabliert, wenn es um menschliche Entwicklungsprozesse geht und daher ein gutes Vorbild für alle Trainer & Seminar-Leiter, die nicht nur Inhalte vermitteln, sondern auch menschliche Entwicklung begleiten.

Eine Analyse empirischer Ergebnisse kam zu dem Ergebnis, dass die Entwicklung von Therapie-Klienten zu folgenden Anteilen zurückzuführen ist auf vier Faktoren [2]:

  • 40 % durch extratherapeutische Faktoren sowie die persönlichen und Umfeldbedinungen des Klienten,
  • 30 % durch die Therapeut-Klient-Beziehung,
  • 15 % durch die Therapieform und
  • 15 % durch die Motivation und Erwartung (selbsterfüllende Prophezeihungen)

Helping Skills – Modell für Psychotherapie-Kompetenz

Clara Hill hat ein gut erprobtes Kompetenz-Modell für Therapeutinnen entwickelt, welches drei Kompetenzbereiche unterscheidet [3]:

  1. Explorative Fähigkeiten (z.B. Reflexionen, Anamnese, Analyse von Ursachen),
  2. einsichtsorientierte Fähigkeiten (z.B. Interpretationen, Hypothesenbildung, gemeinsames Verständnis herstellen) und
  3. Handlungsfähigkeiten (z.B. Experimente durchführen, Konditionierung, Hausaufgaben geben)

Landkarten: Modelle für menschliche Entwicklungspiral dynamics, persönliche entwicklung, trauma, therapie, coaching, hypnose, kreativität

Als Therapeutin, Trainer, Facilitator ist es leicht, auch mal die Orientierung zu verlieren – wohin geht die Reise eigentliche gerade? Viele Gruppen wissen es oft selbst nicht so genau. Dann helfen Modelle aus der Entwicklungspsychologie. Dies sind 3 Modelle, die ich wiederholt als nützlich empfunden habe in der Arbeit mit Gruppen, wenn es auch um die persönliche Entwicklung der Menschen darin geht:

  1. Maslow-Pyramide: Die Maslow’sche Bedürfnispyramide strukturiert die menschlichen Bedürfnisse von basal bis komplex / transzendent in eine hierarchische Pyramide – unten biologisch, oben spirituell, in der Mitte soziale und Leistungsbedürfnisse. Dieses Modell ist immer wieder hilfreich, denn: schaffst du es, die relevanten, unerfüllten Bedürfnisse eines Menschen bzw. einer Gruppe zu identifizieren, kannst du sinnvolle Wege finden, die Bedürfnisse zu erfüllen, damit die Menschen glücklich und dankbar zu machen und dafür eigene Angebote zu schaffen, mit denen du Geld verdienen bzw. Sinn stiften kannst.
  2. Spiral Dynamics: Clare Graves verallgemeinerte Maslow’s Modell auf die Entwicklungstendenz menschlichen Bewusstseins. In einer aufwärtsgerichteten Spirale verfeinert sich die menschliche Kultur und komplexere Denk- und Interaktionsprozesse werden möglich. Dieses Modell ist mit seinen Farben sehr eingängig und ist übertragbar auf Organisationsentwicklung genauso wie Psychotherapie.
  3. Das Modell hierarchischer Komplexität ist etwas rationaler und beschreibt vor allem kognitive Fähigkeiten. Es basiert auf den Piaget’schen Stufen kognitiver Entwicklung von Kindern und verallgemeinert diese.

…mehr zu Entwicklungsmodellen im Vergleich, u.a. mit Kohlberg, Loevinger & Erikson

 

7 Achtsamkeits-Prinzipien: Selbstkompetenz für Trainer, Facilitatoren und Therapeuten

Die Arbeit mit Menschen ist fast immer intensiv – Facilitieren von Gruppenprozessen erst recht. Dabei stoßen wir fast zwangsläufig an unsere eigenen kognitiven und emotionalen Grenzen. Die folgenden Achtsamkeits-Prinzipien bieten einen Kompass für die eigene Selbstregulation und gehen d’accord mit wissenschaftlich belegten Wirkfaktoren von Achtsamkeit [4]:

  1. Anfangsgeist: Sich mit einem frischen Geist, mit Neugier und Vorfreude auf eine Tätigkeit einlassen. Problem: Oft hindern uns frühere Erfahrungen wie Misserfolge, Konventionen oder Traumata daran, eine neue Aufgabe oder Lebensphase als Chance zu sehen. Dann hilft es, jeden Moment als Anfang des zukünftigen Prozesses vorzustellen. Diese Art Framing kann z.B. durch WM-Fragen ermöglicht werden.
  2. Veränderlichkeit: Es gibt schöne Tage und schlechte Tage. Es kommen angenehme Gefühle wie Freude, Erfolg, Liebe und negative Gefühle wie Angst, Ärger, Scham, Trauer. Sie alle kommen und gehen, ganz von alleine. Mal gewinnen wir, mal verlieren wir.
  3. Desidentifikation, nicht-anhaften: Wir sind nicht unsere Gefühle und Erfahrung, wir erleben sie nur.
  4. Rechtes Maß: nicht zu viel, nicht zu wenig, z.B. beim Essen oder beim Sport, oder beim Arbeiten. Das rechte Maß kann ich finden, wenn ich in Ruhe in meinen Körper hineinspüre und mich frage, was ich zum Gesund-und-Glücklich-Sein gerade brauche und das Nicht-Anhaften an Gelüste praktiziere.
  5. Aufgeben gegenüber der Realität: manchmal kämpfen wir innerlich gegen Probleme an, die wir gar nicht lösen können. Das innere Kämpfen verlängert dann nur das Leiden. Es wäre intelligenter, sich zunächst der Realität zu ergeben. Achtung: Dies heißt nicht, Ungerechtigkeiten einfach hinzunehmen, sondern sich in Ruhe darauf zu konzentrieren, was wir wirklich beeinflussen können. Siehe auch: 7 Wege zur Effektivität
  6. Extralosigkeit: das positive Gegenteil der Prokrastination. Einfach alles weglassen, was nicht zum Kernziel und zum Fokus zählt. Also nicht erst das ganze Arbeitszimmer neu sortieren, um eine Bewerbung zu schreiben (2 Tage), sondern einfach gleich die Bewerbung schreiben (1 Stunde).
  7. Dankbarkeit: so lange wir am Leben sind, gibt es unheimlich viele Dinge, für die wir dankbar sein können… die Jahreszeiten, gute Musik, dass du Lesen und Schreiben kannst. Wie schön ist es doch eigentlich, dass wir gesunde Körperteile haben! Ein gebrochenes Bein ist eine Behinderung, aber merken wir auch, wie wertvoll es eigentlich ist, wenn kein Bein gebrochen ist? Dankbarkeit bedeutet, sich klar zu machen, was alles Positives da ist, auch in Zeiten, in denen uns nicht zu Lachen zu Mute ist.

 

Lehren lernen: 6 Tipps für starke Training und Facilitation

  1. Stärke dein Selbstvertrauen und deine eigenen Ressourcen vor einer wichtigen Veranstaltung: Lass dir zum Beispiel Feedback auf deine Stärken geben und spiele diese weiter aus, nutze dafür 360 Grad Feedback
  2. „Störungen haben Vorrang“ ist eine wichtige Regel in Trainings, wenn es um die persönliche Entwicklung geht, lerne also mit Störungen liebevoll und spielerisch umzugehen, durch GFK und Konfliktlösung – aber vor allem mit dem eigenen inneren Gleichgewicht (siehe Achtsamkeit und Trauma-Integration)
  3. Lehren und Facilitieren sollte einer Leidenschaft entspringen: Wirf einen Blick auf dein IKIGAI, was genau eigentlich deine Berufung ist und wonach du deine Schwerpunkte auswählen solltest
  4. Bringe Klarheit in dein eigenes System, nutze die Visionspyramide um Handeln, Haltung und Vision klar auszurichten, zum Beispiel über den Online-Kurs „Creative Self“
  5. Nutze Design Thinking als Grundlage für die Konzeption nutzer-zentrierter Angebote – und damit auch Lernprozesse & Workshops – denn dies ist für fast jeden Gruppenprozess hilfreich,
    hier findest du eine Lern-Anleitung: Design Thinking lernen: Train-the-Trainer
    und hier einen Design Thinking Video-Kurs für Unterrichtsentwicklung
  6. Sage, was du tust und tue, was du sagt

 

Quellen:

[1] Hattie, John (2009): Visible Learning. A synthesis of over 800 meta-analyses relating to achievement. London.

[2] T. Asay, M. Lambert: Empirische Argumente für die allen Therapien gemeinsamen Faktoren: Quantitative Ergebnisse. In: M. Hubble, B. Duncan, S. Miller (Hrsg.): So wirkt Psychotherapie. Empirische Ergebnisse und praktische Folgerungen. Verlag modernes Leben, Dortmund 2001, S. 41–81.

[2] Trainer to Trainer Guide, Karl Hosang

[3] Louis G. Castonguay & Clara E. Hill: How and why are some therapists better than others? Understanding therapist effects.American Psychological Association, Washington DC 2017, ISBN 978-1-4338-2771-6, S. 152–153 f.

[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Achtsamkeit_(mindfulness)#Ergebnisse


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